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Museum Das Memorium Nürnberger Prozesse

Der Schwurgerichtssaal 600 im Nürnberger Justizpalast ist weltberühmt. Hier mussten sich nach dem Krieg Nazi-Verbrecher wie Hermann Göring oder Rudolf Heß verantworten. Das Museum "Memorium Nürnberger Prozesse" zeigt die Geschichte hinter der Geschichte.

Stand: 18.11.2020 | Archiv

In den vergangenen Jahrzehnten wuchs das Interesse an diesem Originalschauplatz der jüngeren Weltgeschichte immer stärker. Das Problem: Der Saal 600 in einem Nebentrakt des Nürnberger Justizpalasts war oft nicht zugänglich, weil er bis zum Februar 2020 nach wie vor als Gerichtsraum diente. Nach Angaben der Nürnberger Justiz führte dies immer wieder dazu, dass sogar eigens aus Israel oder den USA angereiste Gruppen abgewiesen werden mussten.

Museum schräg über dem Saal

Die Lösung des Problems brachte schließlich ein Museum: 4,2 Millionen Euro ließen sich Bund, Freistaat Bayern und die Stadt Nürnberg das 700 Quadratmeter große "Memorium Nürnberger Prozesse" kosten. Mit Bildern und Dokumenten skizziert die Ausstellung in einem Rundgang den Verlauf des damaligen Prozesses. Dabei soll vor allem die Bedeutung des Verfahrens für die Entwicklung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit verdeutlicht werden.

Blick in den Schwurgerichtssaal 600

Auch der Saal 600 war von Anfang an in die Ausstellung mit eingebunden. War der Gerichtsraum wegen eines Prozesses nicht zugänglich, konnten Besucher durch mehrere Fenster im Memorium einen Blick in den historischen Saal werfen. Wenn die Öffentlichkeit von einem Prozess ganz ausgeschlossen wurde, konnte der jeweilige Richter die Scheiben per Knopfdruck undurchsichtig machen.

Unbequeme Anklagebank

Eine originale Sitzbank der Nürnberger Prozesse

Ein Ausstellungsstück des Memoriums ist eine originale Sitzbank, auf der ein Teil der Nazigrößen während des Prozesses saßen. Ein US-Mitarbeiter hatte sie damals so konstruiert, dass Angeklagte wie Hermann Göring oder Rudolf Heß nur sehr unbequem darauf sitzen konnten. Aber auch das Museum selbst ist auf "historischem Boden": Teile des dafür umgebauten Dachgeschosses hatten während der Kriegsverbrecherprozesse 1945/46 als Pressetribüne gedient. Die wurde später wieder entfernt und die Wand zugemauert.

Danach diente der Saal 600 jahrzehntelang als Schwurgerichtssaal für Prozesse mit großem Publikum- und Medienandrang. An Prozesstagen war daher keine Begehung möglich, für Museumsbesucher war nur montags und freitags geöffnet. Das änderte sich erst 2020. Ende Februar wurde im Saal 600 das letzte Urteil gesprochen. Am 14. Oktober desselben Jahres wurde der Saal offiziell der Internationalen Akademie der Nürnberger Prinzipien (IANP) übergeben. Seitdem kann er von der Stadt Nürnberg, dem IANP und dem Memorium Nürnberger Prozesse als gleichberechtigte Partner genutzt werden.

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360-Grad-Video Nürnberger Prozesse - Eine der letzten Zeitzeuginnen erinnert sich | Bild: Bayerischer Rundfunk (via YouTube)

Eröffnung mit Siegermächten

Russlands Außenminister Sergej Lawrow, Nürnbergs OB Ulrich Maly, Guido Westerwelle, Frankreichs Außenminister a.D. Roland Dumas.

Das Memorium Nürnberger Prozesse selbst wurde bereits im November 2010 eröffnet. An der Feierlichkeit nahmen damals Vertreter der vier Siegermächte USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich teil. Der russische Außenminister Sergej Lawrow würdigte den Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess als den "größten und wichtigsten in der Geschichte der Zivilisation".

Vor rund 400 Festgästen betonte der damalige Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP), die Nürnberger Prozesse seien die "Antwort auf die Perversion des Rechts im nationalsozialistischen Deutschland" und zugleich "Wegweiser für die Entwicklung des Völkerstrafrechts" gewesen. Westerwelle begrüßte die Bemühungen der Stadt Nürnberg, den Schwurgerichtssaal 600 ins Unesco-Weltkulturerbe aufnehmen zu lassen.

Der damalige Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) bekräftigte die Absicht der Stadt, sich dem historischen Erbe zu stellen. Nürnberg war nicht nur Stadt der Reichsparteitage, hier wurden auch 1935 die sogenannten Rassegesetze beschlossen. Nürnberg sei der Ort gewesen, von dem aus das nationalsozialistische Regime zwischen 1933 und 1938 seine menschenverachtende Propaganda in die Welt streute, so Maly. Das Memorium ist Teil des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände, mit dem Nürnberg die NS-Vergangenheit aufarbeitet.

Standortvorteil: unzerstörtes Justizgebäude

Der Nürnberger Justizpalast im Winter 1945/46 mit Gefängnis im Hintergrund

1945, fünf Monate nach Kriegsende, begannen im nahezu unzerstörten Nürnberger Justizgebäude die Umbauten für den Prozess gegen 24 NS-Hauptkriegsverbrecher. Die Siegermächte USA, Sowjetunion, England und Frankreich bildeten den Internationalen Militärgerichtshof, der ab November 1945 im legendären Schwurgerichtssaal 600 zum ersten Mal in der Geschichte ein Kriegsverbrechertribunal abhielt.

Ein Ort der Weltgeschichte

Links vor der Fensterfront die Richter, oben die Besuchertribüne, rechts Nischen für Filmkameras.

Die ganze Welt sollte bei diesem Gerichtsprozess dabei sein. Rund 600 Prozessbeobachter und Reporter berichteten aus Nürnberg. Für sie wurde die Wand, in der sich heute die kleinen Fenster für Memorium-Besucher befinden, entfernt und eine doppelstöckige Besuchertribüne errichtet.

Links die Anklagebank, davor die Verteidiger. Im Hintergrund: Simultandolmetscher, rechts daneben der Zeugenstand, wo heute die Richterbank ist.

Starke Lampen beleuchteten den Saal für die Kameramänner, die den Prozess von extra eingerichteten Wandnischen aus festhielten. Jedes Wort wurde mithilfe einer Simultananlage in die vier Sprachen der Alliierten übersetzt und mitgeschnitten. Das Dokumentarmaterial ist besonders in Amerika bekannt. Daniel Gürtler vom Verein Geschichte für Alle berichtet von immer mehr Besuchergruppen aus dem angelsächsischen Raum. Weit über 40.000 Besucher im Jahr zeigten Interesse, so Gürtler, Tendenz steigend.

Ohne Nürnberg kein Den Haag

Der Schwurgerichtssaal 600 im Jahr 2014

Mit dem von den Alliierten eingerichteten Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg trat 1945 zum ersten Mal ein internationales Strafgericht zusammen, das Verbrechen gegen die Menschlichkeit anklagte. Die hier geltenden Prinzipien ebneten den Weg zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Die Ausstellung widmet sich darum auch den drei Kernbereichen: Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem Internationalen Militärtribunal vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946, seinen zwölf Nachfolgeprozessen und den Auswirkungen der Rechtsprechung auf die Gegenwart durch die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes 1993 in Den Haag.


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