Starkes Immunsystem Warum es Frauen nicht nur Vorteile bringt
Viele heterosexuelle Paare beobachten es schon lange: Sie reagieren unterschiedlich auf Viren und Infekte. Dabei spielen viele individuelle Faktoren eine Rolle - wahrscheinlich aber auch das Geschlecht. Der gefürchtete „Männerschnupfen“ spiegelt das Erfahrungswissen wider, dass Männer unter Infekten oft stärker leiden.
Warum wirken sich Infektionen bei Frauen und Männern unterschiedlich aus? Der Münchner Allgemeinmediziner Markus von Specht sieht die Ursache auch in den biologischen Unterschieden im Immunsystem von Mann und Frau.
Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Patienten zeigten sich auch in der Corona-Pandemie: Statistisch gesehen hatten Männer zum Beispiel ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf. Unterschiedliche Krankheitsverläufe kennt man auch von anderen Erkrankungen, darunter auch Krebs- oder auch Autoimmunkrankheiten.
Testosteron und Östrogen: Einfluss aufs Immunsystem
Die Erklärung für solche Phänomene ist wahrscheinlich sehr komplex. Die genauen Mechanismen dazu werden erforscht.
Sehr vereinfacht lassen sich die Unterschiede mit einer unterschiedlichen biologischen Ausrichtung des Immunsystems von Mann und Frau erklären, unterschiedlichen Prioritäten sozusagen.
Demnach steckt der männliche Organismus viel Energie in Muskelaufbau und körperliche Fitness - der weibliche Organismus dagegen priorisiert ein fitteres Immunsystem und „Reserven“ für körperlich anstrengende Phasen wie Schwangerschaft und Geburt.
Gesteuert und beeinflusst werden diese unterschiedlichen Prioritäten durch Geschlechtshormone. Testosteron hat danach einen eher dämpfenden Einfluss auf das Immunsystem, weibliche Hormone bringen es in Schwung.
Wahrscheinlich sind die Zusammenhänge je nach Erkrankung, genetischen und individuellen Voraussetzungen noch komplexer. Differenzierte Untersuchungen z.B. bei COVID-19 gibt es zum genauen Einfluss von Testosteron auf den Krankheitsverlauf.
XX oder XY: Genetische Einflüsse aufs Immunsystem
Aber auch bei Kindern, die vor der Pubertät noch wenig Geschlechtshormone produzieren, oder bei Frauen nach der Menopause gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. Kleiner, aber immer noch vorhanden. Der Hamburger Forscher Marcus Altfeld will aufklären, warum. Und er findet Antworten in den Genen.
"Und zwar haben Frauen zwei x Chromosomen, während biologische Männer ein X und ein Y-Chromosom haben. Auf diesen Chromosomen liegen viele Gene, und gerade auf dem X-Chromosom liegen viele Gene, die unser Immunsystem regulieren. Und Frauen haben zwei Kopien dieses Gens."
Prof. Dr. med. Marcus Altfeld, Leiter Abt. Virus-Immunologie am Leibniz Institut für Virologie, Hamburg
Das spielt eine große Rolle und lässt sich bei einer bestimmten Art von Immunzellen zeigen. Die sogenannten pDCs sind eine wichtige Unterart der weißen Blutkörperchen, kleine Fabriken für hochwirksame Abwehrstoffe gegen Viren: Interferone.
"Wenn diese pDCs aktiviert werden und ein Virus erkennen oder erkennen, dass eine Virusinfektion stattgefunden hat, können sie sehr große Mengen von Interferon Alpha produzieren, eintausendmal mehr als jede andere Immunzelle."
Prof. Dr. med. Marcus Altfeld, Leiter Abt. Virus-Immunologie am Leibniz Institut für Virologie, Hamburg
Und diese Zellen, das hat Altfeld mit seinem Team herausgefunden, arbeiten mit einem XX Bauplan besser als mit einem XY Datensatz. Denn das Y-Chromosom ist für die Immunabwehr praktisch nutzlos: Mit zwei X-Chromosomen hat die Immunabwehr fast die doppelte Power.
Autoimmun-Reaktionen: Schattenseite der weiblichen Immunpower
Dass Frauen ein „reaktiveres Immunsystem“ haben, könnte erklären, dass sie schwächere Symptome als Männer ausbilden. Ein starkes Immunsystem neigt allerdings auch leichter zu Überreaktionen. Wie bei Long- oder Post-Covid. Nach der Erfahrung des Allgemeinmediziners Markus von Specht aus München betrifft die Erkrankung überproportional häufig Frauen einer bestimmten Altersgruppe:
"Tatsächlich ist mir aufgefallen, dass die Erkrankungen bei Frauen, dass Long -und Post COVID ,sehr viel stärker ausgeprägt sind, vor allem zwischen 25 und 50, vor der Menopause."
Dr. med. Markus von Specht, Facharzt für Allgemeinmedizin, München
Nicht nur bei Long-Covid, sondern auch bei vielen anderen Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoide Arthritis oder Lupus erythematodes sind Frauen in der Überzahl.
Auch in Bezug auf die Impfung selbst reagieren die Geschlechter unterschiedlich. Frauen entwickeln eine höhere Antikörperreaktion, leiden aber auch stärker unter Nebenwirkungen der Impfung. Das führte bei der Corona-Impfung - nach Erfahrung von Dr. Specht bei vielen Patientinnen zu mehr Impf-Unlust.
"… Wenn dann das Ergebnis ist, dass Frauen sich weniger impfen lassen, wäre das schade. Und ein adaptierter Impfstoff könnte auch die Compliance, dass sie sich weiter impfen lassen, deutlich erhöhen. Ich wünsche es mir sehr, dass so was kommt!"
Dr. med. Markus von Specht, Facharzt für Allgemeinmedizin, München
Mit der Hilfe von Grundlagenforschern wie Marcus Altfeld könnte in Zukunft dann irgendwann tatsächlich ein Impfschema kommen, das Männer und Frauen optimal schützt und dabei möglichst wenig Nebenwirkungen hat. Der „kleine Unterschied“ könnte so zu großen Verbesserungen in der Praxis führen.