Organspende, Hirntod Schwere Entscheidung für Angehörige
Wenn es um postmortale Organspenden geht, dreht sich oft alles um das Leid der Menschen, die ein Organ brauchen. Aber es gibt auch die andere Seite, die der Spender und ihrer Angehörigen. Denn der Prozess, der mit einer Transplantation und einem geretteten Leben endet, fängt mit einer Hirntod-Diagnose an.
Heute kann Brigitte Herzog darüber reden, was damals passiert ist. Aber die Erinnerung ist immer noch schmerzhaft: Sie bekommt um neun Uhr vormittags einen Anruf von ihrem Mann, dass ein Unglück passiert ist. Brigitte Herzog fährt sofort in die Klinik, doch alle Hoffnung ist vergebens. Ihre Tochter Marlene stirbt an ihren schweren Verletzungen. Mitten in der Trauer bitten die Ärzte sie, eine Organspende in Erwägung zu ziehen.
"Ich habe in keiner Sekunde in dieser Zeit an die Organspende gedacht. Ich war gerade im Begriff, mein Kind zu verlieren und das ist über allem gestanden. Die Ärzte sagten mir, dass sie für Marlene nichts mehr tun können, aber Marlene könnte anderen Menschen helfen. Das ist ganz eine schwierige Aussage, weil man das kaum akzeptieren kann. Da passiert so etwas Lebensveränderndes und man muss dann noch eine wichtige Entscheidung treffen."
Brigitte Herzog, Mutter einer Organspenderin
Zum Glück hatte sich ihre Tochter zuvor schon entschieden, dass sie Organe spenden will. Brigitte Herzog konnte die Entscheidung ihrer Tochter an die Ärzte weitergeben. Aber sehr viele Menschen befassen sich mit Organspende erst dann, wenn sie selbst oder ein Familienmitglied ein Organ brauchen. Wie auch Jörg Schiemann.
"Ich bin relativ jung dialysepflichtig geworden. Eigentlich erst mit dem Beginn der Dialysepflichtigkeit habe ich mir über das Thema Organspende Gedanken gemacht. Die Situation ist sicherlich für die Hinterbliebenen ganz schlimm, wenn sie nicht wissen, wie der Verstorbene hätte entscheiden wollen. Da beneide ich keinen drum."
Jörg Schiemann
Er hatte vor vierzehn Jahren eine Nierentransplantation. Jetzt ist er wieder an der Dialyse, braucht ein neues Spenderorgan. Er rät jedem, sich rechtzeitig mit der Frage zu befassen. Der Medizinethiker Georg Marckmann beschäftigt sich seit Jahren mit den ethischen Fragestellungen rund um die Organspende.
"Man kann Leben retten oder zumindest die Lebensqualität erheblich verbessern, so dass ich eigentlich finde, dass es eine fast moralische Verpflichtung gibt, sich selber Gedanken zu machen, ob man Organe spenden möchte."
Prof. Dr. med. Georg Marckmann, Medizinethiker, LMU-Klinikum, München
Diagnose Hirntod: Was wird dabei festgestellt?
Denn in der konkreten Situation sind die Angehörigen oft mit der Entscheidung überfordert, auch weil der Hirntod für viele emotional schwer zu akzeptieren ist.
"Wenn der irreversible Ausfall der Hirnfunktionen - und zwar aller Hirnfunktionen - festgestellt ist, dann ist es vollkommen klar, dass der Mensch als Person nicht mehr existiert. Es ist vollkommen klar, dass dieser Zustand irreversibel, unumkehrbar ist. Auf der anderen Seite wirken hirntote Menschen äußerlich noch lebendig. Der Brustkorb hebt sich, der Herzkreislauf funktioniert noch, die Person ist warm. Und es ist nicht ganz einfach für alle Beteiligten von dieser Lebendigkeit abzusehen und zu sagen: Ja, dieser Mensch ist tot."
Prof. Dr. med. Georg Marckmann, Medizinethiker, LMU-Klinikum, München
Dass hirntote Patienten wirken, als würden sie noch leben, liegt an den lebenserhaltenden Maschinen. Sie halten die Organe künstlich funktionsfähig. Auf der neurologischen Intensivstation des Klinikums rechts der Isar müssen immer wieder Hirntod-Diagnosen gestellt werden, auch bei Patienten, die nach einem Unfall schwere Hirnschäden davongetragen haben.
"In dieser Phase kann das Gehirn so stark anschwellen, dass das Gehirn sich selbst komplett zerstört und dann kann im schlimmsten Fall auch der Hirntod eintreten."
Dr. med. Jürgen Schneider, Transplantationsbeauftragter, Klinikum rechts der Isar, München
Zur Diagnose gehört, dass zwei Ärzte unabhängig voneinander den Hirntod feststellen müssen. Dafür werden Reflexe, der Ausfall der Durchblutung des Gehirns, der Ausfall des Atemzentrums und mit einem EEG der komplette Ausfall aller Hirnströme gemessen.
"Wir müssen letztendlich nachweisen, dass die Funktionen sowohl des Großhirns, als auch des Hirnstamm, des Stammhirns und des Kleinhirns komplett erloschen sind."
Dr. med. Jürgen Schneider, Transplantationsbeauftragter, Klinikum rechts der Isar, München
Auch Neurologin Dr. Kathleen Bernkopf hat schon mehrere Gespräche mit Angehörigen von hirntoten Patienten über die Möglichkeit der Organspende geführt und dabei auch positive Reaktionen erlebt.
"Für manche ist es auch so etwas wie ein Lichtblick. Sie wissen, der geliebte Mensch ist von einem gegangen und hat vielen anderen das Leben gerettet."
Dr. med. Kathleen Bernkopf, Neurologin, Klinikum rechts der Isar München
Um sicherzustellen, dass die Hirntod-Diagnose völlig frei von anderen Einflüssen ist, dürfen die Ärzte, die den Tod feststellen, nichts mit der nachfolgenden Transplantation zu tun haben. Andersherum haben Transplantationsärzte keinerlei Einfluss auf Hirntod-Diagnosen. Wer wann ein Organ bekommt, auch darauf haben die beteiligten Ärzte keinen Einfluss. Die Zuteilung erfolgt über eine zentrale, länderübergreifende Warteliste. Oft werden die wertvollen Organe über weite Strecken mit speziellen Ambulanzflugzeugen in das Transplantationskrankenhaus gebracht.
Organspende: Kein Höchstalter
Wichtig ist außerdem: Es gibt kein Höchstalter für eine Organspende. Entscheidend alleine ist, ob die Organe zum Zeitpunkt der Entnahme und Transplantation gesund sind. Zwar sind die meisten Organspender zwischen 16 und 55 Jahren, aber: Patieneten über 65 Jahren machten 2021 rund ein Viertel der Organspender aus. Der älteste Organspender Deutschlands spendete postmortal sogar im Alter von 98 Jahren eine Leber. Auch Niere, Lungen und Herz wurden schon Spendern über 90, über 80 und über 70 Jahren erfolgreich entnommen und transplantiert.
Brigitte Herzog ist froh, dass ihre Tochter mehreren anderen Menschen das Leben retten konnte.
"Ich bin mittlerweile stolz drauf. Weil Marlenes Herz nach 12 Jahren immer noch schlägt. Und das ist schon ein großes Wunder!"
Brigitte Herzog, Mutter einer Organspenderin
Sie wünscht sich, dass sich möglichst viele Menschen wie ihre Tochter Marlene rechtzeitig mit dem Thema auseinandersetzen. Ganz egal, welche Entscheidung man am Ende trifft.