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Pflegende Angehörige Wie ist es, ein Kind zuhause zu pflegen?

Über eine halbe Million Menschen in Bayern sind pflegebedürftig. Die meisten werden zu Hause von Angehörigen gepflegt. Was bedeutet das für deren Alltag? Welche Herausforderungen bewältigen Pflegende?

Von: Veronika Keller

Stand: 11.11.2024

Pflegende Angehörige: Wenn Eltern ihr Kind pflegen

Gesundheit!-Reporterin Veronika Keller ist zu Besuch bei Familie Specht in Dachau. Eva und Gregor Specht pflegen ihre Tochter Hannah. Sie ist fast komplett gelähmt auf die Welt gekommen und inzwischen 18 Jahre alt. Jeden Tag benötigt sie Pflege.

Hannah hat nur sehr wenig Muskulatur. Selbst kann sie lediglich atmen, schlucken und ein wenig kauen. Ihre Mutter füttert sie gerade.

"Hannah zeigt einem deutlich, wie wichtig Essen für sie ist. Wir haben oft die Diskussion, ob es nicht einfacher wäre, sie über eine PEG zu ernähren, also quasi keine natürliche Ernährung. Wir sind aber wahnsinnig dahinter, dass Hannah mitessen kann, weil sie daran eine unglaubliche Freude hat."

Eva Specht

Versorgung unterwegs ein Problem

Noch im Mutterleib hatte Hannah eine Gehirnblutung und kam deshalb mit großen Einschränkungen auf die Welt. Ihre Familie tut alles, um ihr ein freudvolles Leben zu ermöglichen.

Die Spechts sind beide berufstätig – und immer wieder froh, dass sie sich zu zweit um Hannah kümmern. Jetzt steht das Wickeln und Fertigmachen für den Tag an. Dafür fliegt Hannah mit dem Lift auf ihre Bank. Das Liftsystem ist im Alltag der Familie unverzichtbar. 

"Zu Hause ist das natürlich einfach, da ist alles vorbereitet. Unterwegs ist die Versorgung wirklich ein Thema und oft ein Problem. Weil: Mal schnell irgendwo zu wickeln geht nicht, zum Beispiel im Kino, weil die Wickeltische viel zu klein sind."

Eva Specht

Fahrradausflug mit Spezialrad

Hannah hat meistens gute Laune. Heute möchte Familie Specht eine Fahrradtour zusammen unternehmen. Bevor es losgehen kann, muss Hannah aber noch Husten. Dafür braucht sie eine Maschine. Während Hannah einatmet, wird ihre Lunge voll aufgepumpt. Dann saugt die Hustenmaschine ab - Schleim und alles, was nicht in die Lunge gehört. Hannah macht super mit.

"Ihr Naturell ist ein Riesengeschenk, weil wir uns oft denken: Was würden wir tun, wenn Hannah unzufriedener wäre? Und so hat man wenigstens das Glück, sich um ein Kind kümmern zu dürfen, was einem alles, was man tut, hundertfach wieder zurückgibt."

Eva Specht

Zusammen draußen sein - ein Stück Freiheit

Der Fahrradausflug bedarf ein wenig Vorbereitung. Die Spechts nutzen ein Spezialfahrrad für Hannah. Ihr Therapiestuhl passt genau darauf.

"Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass man so etwas hat. Weil die Krankenkasse der Meinung ist, dass Fahrradfahren nichts zur Lebensqualität beiträgt und auch der Bezirk sehr wenig unterstützt, vor allem bei Kindern, die nicht selbst strampeln können. Wir haben das Glück, uns das finanziell leisten zu können. Und dann noch einen Opa dahinter zu haben, der das technische Knowhow hat, das auszutüfteln. Der Opa hat die Sonderkonstruktion gebastelt. Für uns ist das ein Stück Freiheit."

Eva Specht

Hannah mag das Unterwegssein und den Fahrtwind. Vom Haus der Spechts ist man schnell in den Amperauen – das Draußensein tut allen gut.

"Wir stecken viel Zeit rein, bis wir mit Hannah so weit sind, dass wir losfahren können. Aber wenn man dann sieht, wieviel Spaß es ihr macht, ist es die Sache total wert. Das gibt einem so viel zurück, dass man es jedes Mal wieder gerne macht."

Gregor Specht

Wichtig: Zeit für einen selbst

Nicht vergessen dürfen Hannahs Eltern bei all den Aufgaben, auch an sich zu denken.

"Das muss man versuchen, sich irgendwie rauszuschneiden. Eva hat jetzt wieder zum Sporteln angefangen, wenn Hannah vormittags in der Schule ist. Es ist schon schwierig. Aber trotz allem finden wir doch immer mal das ein oder andere Stündchen."

Gregor Specht

Die Großeltern helfen ihnen dabei.

"Sie ermöglichen uns proaktiv die Zeit, weil sie wissen, wie wichtig das ist. Wenn man irgendwann nur noch in dieser Pflegemühle vor sich hin arbeitet, geht man kaputt."

Eva Specht

Atemübungen mit der Physiotherapeutin

Nachmittags haben die Eltern eine kleine Pause – Physiotherapeutin Silvia Gampenrieder ist da. Sie will Hannah zu tiefen Atemzügen bringen, um sie vor Lungenentzündungen zu schützen – die hatte sie schon oft. Auch für ihre Muskeln und Gelenke ist Bewegung wichtig.

"Das ist eine Herausforderung für die Pflegenden, und ich finde, Hannah hat wenig Einschränkungen an Wirbelsäule, Beinen und Armen - im Verhältnis zu ihrem Behinderungsgrad. Hannahs Eltern machen das sehr gut."

Silvia Gampenrieder, Physiotherapeutin, Dachau

Zur Familie gehört neben den Eltern auch Hannahs jüngere Schwester Pia. Inzwischen ist sie 16 Jahre alt und verbringt gerade ein Auslandsjahr in Frankreich. Videotelefonate mit ihr sind ein Highlight für Hannah.

Die Eltern haben Pia zwar aus der praktischen Pflege rausgehalten, Hannah brauchte und bekam aber immer mehr Aufmerksamkeit. Für ihre Schwester keine leichte Situation.

"Ich glaube aber, dass das Positive überwiegt, das sie aus dieser Situation mitgenommen hat. Sie hat eine unglaubliche soziale Intelligenz und sie ist wahnsinnig selbständig."

Eva Specht

Schulbesuch mit Sprachnachrichten

Während Pia in Paris zur Schule geht, tut Hannah das in Dachau – das gibt ihrem Tag Struktur und Bedeutung. Dafür braucht sie eine Taste, mit der sie Sprachnachrichten aufnehmen kann.

"Morgens sprechen meine Frau oder ich auf, wie der letzte Nachmittag war. Und wenn Hannah in der Schule war und wieder nach Hause kommt, dann hat die Lehrerin etwas aufgenommen. Und so kann Hannah von ihrem Schultag berichten."

Gregor Specht

Mit viel Konzentration kann sie die Taste sogar selbst drücken und ihrer Lehrerin lauschen. Leider ist dieses Schuljahr Hannahs letztes. Wie es dann weitergeht, ist offen - und das macht ihren Eltern Sorgen.

Unsicherheit: Was kommt nach der Schulzeit?

Wie die meisten pflegenden Angehörigen weiß Eva Specht: Ein großer Teil der Pflegearbeit ist Bürokratie - zum Beipsiel in Form von Anträgen oder Gutachten.

"Für mich ist das Schlimme nicht die Zeit, sondern die Nerven, die das kostet. Weil Dinge, die man braucht - seien es Hilfsmittel oder Unterstützung in Form der Nachtpflege - per se erstmal abgelehnt werden."

Eva Specht

Die Spechts haben für ihre Tochter schon um einiges hartnäckig gekämpft. Ihre größte Sorge momentan: Nächsten Sommer endet Hannahs Schulzeit – was wird sie dann tagsüber tun?

"Es bestünde ein Rechtsanspruch auf einen Werkstättenplatz, in die Werkstätte kann man aber nicht gehen, wenn man keinen Beitrag zum Arbeitsleben leisten kann. Und Förderstättenplätze gibt es in Deutschland viel zu wenige. Wir wissen jetzt schon, dass wir vor August nicht wissen werden, ob wir überhaupt einen Förderstättenplatz bekommen."

Eva Specht

Wenn nicht, müssten die berufstätigen Eltern die Betreuung aus eigenen Mitteln organisieren.

Hilfe in der Nacht

Die Nächte sind für Hannahs Eltern eine besondere Herausforderung: Der Treppenlift bringt Hannah ins Schlafzimmer. Nachts braucht sie viel Aufmerksamkeit, denn oft kommt sie mit dem Schlucken nicht hinterher und bekommt schlecht Luft. Dann muss man sie umlagern oder Speichel absaugen. Etwa sechs bis acht Mal pro Nacht braucht sie Hilfe.

"Wir haben das 13 Jahre ganz alleine durchgezogen, seit fünf Jahren haben wir einen Pflegedienst, der nachts kommt, aber auch immer nur für ein halbes Jahr. Die Verordnung darf maximal für ein halbes Jahr ausgestellt werden. Jedes Mal mit der Angst: Wird es wieder neu genehmigt? Wir wissen beide, wenn wir das Nacht für Nacht selber machen müssen, das schaffen wir nicht."

Eva Specht

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