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1911 bis 1914 Die Welt in Steno

Stand: 15.12.2011

Improvisation 19, 1911 | Bild: VG Bild-Kunst, Bonn

Es gibt etwas, das Kandinsky in seinem Schaffen antreibt, und das ist der Wunsch, den Gegenstand in seinem Werk ständig weiter zu verschlüsseln. Schon seit den Anfängen seiner Malerei ist Kandinsky ein sehr reflektierter Künstler, der sich über die theoretische Dimension seiner Bilder ebenso viele Gedanken macht wie über die praktische Seite seines Arbeitens. 1911 erscheint seine Schrift "Über das Geistige in der Kunst", worin er drei Bildkategorien unterscheidet:

  • "Impressionen": zeichnerisch-malerische Bilder nach der "äußeren Natur"
  • "Improvisationen": unbewusste, spontane Äußerungen nach der "inneren Natur"
  • "Kompositionen": langsam gereifte, lange und intensiv vorbereitete Werke, in denen dennoch das Gefühl die Oberhand behält über den berechnenden Aspekt

Die Welt verschlüsselt

"Romantische Landschaft" von 1911

Bereits 1910 malt Kandinsky seine erste Komposition. Diese Bildkategorie nimmt in seinem Wertesystem den höchsten Rang ein. Inhaltlich kreisen diese Arbeiten oft um religiöse Themen wie Sintflut, Jüngstes Gericht und Auferstehung. In den Jahren 1912 und 1913 entwickelt Kandinsky diese zentralen Themen weiter. Dabei verschlüsselt er einige seiner Werke in solchem Maße, dass ein Betrachter, der mit der Kunst Kandinskys nicht vertraut ist, keine Chance hat, sich zurechtzufinden. Um der Gefahr reiner Ornamentik zu entgehen, entwickelt er ein System aus Kürzeln, die das Gegenständliche in seinen Bildern ersetzen: "Erst nach vielen Jahren geduldiger Arbeit, angestrengten Denkens, zahlreicher vorsichtiger Versuche, die malerischen Formen rein, abstrakt zu erleben, kam ich zu den malerischen Formen, mit denen ich heute arbeite," schreibt Kandinsky 1913. Das Ergebnis ist die "absolute Malerei", die er von Anfang an erreichen wollte.

1912 erscheint der Almanach "Der Blaue Reiter", den Kandinsky zusammen mit Franz Marc herausbringt. Hier schreibt er, dass zwischen den abstrakten und den wirklichkeitsgetreuen Bildern auch all die Kombinationsmöglichkeiten abstrakter und realer Elemente lägen. "Es wird aber nie Regeln geben," sagt er und auf viele Außenstehende wirkt sein Werk, das sich stets mal mehr, mal weniger gegenständlich präsentiert, widersprüchlich.

Kandinskys Dilemma

Das "Bild mit schwarzem Bogen" malt Kandinsky 1912

Überhaupt ist sich Kandinsky des Dilemmas bewusst, in dem er steckt. Die geistige Entwicklung, die ihn diesen Grad an Abstraktion erreichen ließ, muss im Idealfall auch jeder Betrachter seiner Werke durchlaufen haben, um seine Kunst zu verstehen. Dass das auf nur sehr wenige zutrifft, erlebt Kandinsky immer wieder. Ständig muss er sich die Anschuldigungen der Kunstkritiker gefallen lassen, die ihm vorwerfen, er verschlüssele seine Kunst mutwillig, um sich gegen Kritik von außen abzuschirmen und gleichzeitig seinen Verzicht auf den Gegenstand mystisch zu legitimieren.

Das Vertraute im Unbekannten

Natürlich verrätselt Kandinsky den Gegenstand absichtlich. Er verbirgt das Vertraute im Unbekannten, um somit den Spielraum an möglichen Bedeutungen zu vergrößern. Als es ihm gelingt, mit Hilfe einer Art Kurzschrift völlig auf den Gegenstand in seinem Werk zu verzichten, erreicht dieser Deutungsspielraum ein Maximum.


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