Frédéric Schwilden "Toxic Man"
Frédéric Schwilden lebt in Erlangen. Der Fotograf und Journalist hat den autobiografisch geprägten Roman "Toxic Man" geschrieben. Der handelt davon, wie man dem "Terror der Mittelschicht" entkommt – witzig, unterhaltsam und sehr, sehr ehrlich.
Zu den interessantesten Neuerscheinungen dieses Bücherfrühlings zählt der erste Roman des jungen Erlanger Journalisten Frédéric Schwilden. Er heißt "Toxic Man" und wird als Generationenroman der sogenannten Millennials rezipiert – der heute 26 bis 40-Jährigen, zu denen auch der 1988 geborene Autor selber zählt.
Schwilden wuchs in der Fränkischen Schweiz auf und machte in Ebermannstadt Abitur, lebte lange in Berlin, wo er für den "Rolling Stone", die "Welt am Sonntag" und den "Focus" schrieb. 2015 zog er dann nach Franken zurück, gründete in Erlangen eine Familie und arbeitet von dort aus für das Politikresort der "Welt".
"Der Galerist Johann König hat einmal gesagt, er sei lieber der, der auf der Party auf den Teppich gekotzt hat, als der, der heimlich gegangen ist. Weil man sich an Letzteren niemals erinnern würde."
Zitat aus 'Toxic Man' von Frédéric Schwilden
Nach diesem Motto lebt der junge Ich-Erzähler in Berlin. Er trägt auffällige Designerkleidung, betrachtet Kunst als sein Lebenselixier, nimmt jede Menge Drogen, wird auf Partys mit Prominenten eingeladen und gehört langsam selbst dazu. Als angesagter Fotograf von Popstars wie Billie Eilish oder Politikern wie Jens Spahn ist er europaweit gefragt. Und ein großes Kölner Kunstmuseum zeigt eine umfassende Ausstellung seiner Fotos. Er will geliebt und bewundert werden und fühlt sich doch nicht wohl in seiner Haut.
Dieser Konflikt bricht richtig auf, als sein Vater plötzlich stirbt, zu dem er seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte.
"Ich schaue meine Mutter an. Meine Tanten. Meine Großmutter. Alle, die jahrelang danebengestanden hatten, wenn mein Vater laut wurde, wenn er schrie, wenn er mit Dingen warf, wenn er betrunken war, sitzen da vor Sekt und Kaffee und den Käsebroten."
Zitat aus 'Toxic Man' von Frédéric Schwilden
Der Vater, der da gerade beerdigt wird, war Medizinprofessor in Erlangen, der den Sohn als missraten empfand. Deshalb versuchte der Ich-Erzähler schon früh dem "Terror der Mittelschicht", wie er es nennt, zu entkommen. Ein toxisches Männerbild, das im Ich-Erzähler fortlebt und Spuren hinterlassen hat.
In einem ganz eigenen, gleichzeitig nassforschen und empfindsamen Sound erzählt Frédéric Schwilden in Rück- und Vorblenden von einer aufsässigen Kindheit und Jugend in der fränkischen Schweiz, der wilden Berliner Zeit, der frühen Heirat mit seiner großen Liebe, dem Umzug ausgerechnet nach Erlangen, der Geburt seines Sohnes. Von Erfolgen, Demütigungen und Abstürzen, von Autoaggression, der eigenen Vergewaltigung und dem Tod von Freunden, von Depression und leisem Hoffnungsschimmer.
Der 1988 geborene Autor zeichnet das Portrait eines Antihelden seiner Generation, eines Versehrten, der gegen die eigenen Dämonen kämpft.
"Es ist jemand, der an einer schwierigen Familienbeziehung arbeitet, oder jahrelang auch nicht gearbeitet hat. Und der es eigentlich besser wissen müsste, weil da ein Bewusstsein dafür da ist, was vielleicht falsch in der Beziehung zum Vater, zur Mutter oder der anderen Familie war, es aber nicht reflektieren kann. Dadurch ist er für mich ein sehr menschlicher Charakter und exemplarisch für den modernen Typ Mensch in der postmodernen Jetztgesellschaft. Er weiß es besser, macht es aber nicht, weil er nicht kann. Und der Konflikt ist: 'Mann, raffe dich doch mal auf und versuche das zu ändern.'"
Frédéric Schwilden
Vieles an diesem kurzweiligen, tieftraurigen und hochkomischen Roman ist autofiktional bis in kleineste Details aus Frédéric Schwildens Leben hinein. Man hat als Leser das Gefühl nicht nur etwas Exemplarisches über die Generation der Millennials zu erfahren, sondern auch etwas sehr Persönliches vom Autor, obwohl auf dem Buch deutlich Roman draufsteht. Schwilden ist dieses Risiko bewusst eingegangen.
"Jede Kassiererin und jeder Obst- und Gemüsehändler stellt mittlerweile sein komplettes Leben auf Instagram. Und vielleicht gar nicht so bewusst. Also, wenn ich über eine Geburt schreibe, die in Erlangen stattfindet, liegt es vielleicht nahe, dass das die Geburt meines Kindes meint, war oder ist. Aber ich habe mir das sehr mündig ausgedacht. Und ich habe in der 'Welt am Sonntag' eine Familienkolumne, wo ich über meine Kinder schreibe. Da gibt es auch Fotos von meinen Kindern. Das ist schon sehr bewusst einen Ausschnitt wählen, aber auch sagen, wo das aufhört. Es gibt Menschen, die glauben sehr viel über mein Leben zu erfahren, wenn sie das lesen. Aber das ist nur ein winziger Teil, den ich auch noch selbst inszeniere. Das heißt, so viel erfahren die gar nicht über mich."
Frédéric Schwilden
Info & Bewertung
Frédéric Schwilden: Toxic Man, München 2023, Piper Verlag, 288 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-492-07191-8
"Toxic Man" ist alles andere als ein woker Beitrag zum Diskurs toxischer Männlichkeit. Es ist ein wildes Konglomerat aus Bekenntnissen, Meinungen, Urteilen, essayhaften Passagen, Dialogen, Anekdoten, Zitaten, einem eigenen Soundtrack und jeder Menge Namedropping. Und dennoch fügen sich die disparaten Teile zu einem formvollendeten, harmonischen Ganzen. Dieselbe Ambivalenz gilt auch für die Genre-Einordnung: "Toxic Man" ist ebenso gut Autofiktion und Familienroman, Popliteratur und Entwicklungsroman, Coming-of-age-Story und Heimatroman. Vor allem aber ist "Toxic Man" ein zärtliches und ehrliches Buch. Ein absolut gelungenes, lesenswertes Debüt.