Franken - Buchtipps


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Hanns Zischler Der zerrissene Brief

Der 1947 in Nürnberg geborene Hanns Zischler zählt zu den großen Charakterdarstellern in Film und Fernsehen. Nun hat der weltläufige Franke mit "Der zerrissene Brief" im Alter von 72 Jahren seinen ersten Roman vorgelegt.

Von: Dirk Kruse

Stand: 19.05.2020 | Archiv

Buch "Der zerrissene Brief" von Hanns Zischler | Bild: BR-Studio Franken/Vera Held

Hanns Zischlers erster Roman spielt in der Landschaft seiner Kindheit: im südlichsten Zipfel von Mittelfranken. Dort in Langenaltheim, wo sein Vater einen Steinbruch besaß, wuchs er in einem großen fränkischen Bauernhaus auf.

"Ich nehme nicht biographische Vorkommnisse, sondern ich nehme die Topographie als die Kulisse oder als die Bühne - die Topographie kenne ich gut, um da dann sich die Figuren entwickeln zu lassen. In dem Roman jetzt sind es wechselnde Schauplätze. Es gibt aber ein geheimes Zentrum, wo das Gespräch stattfindet. Und das ist die Gegend von Treuchtlingen, Solnhofen, Langenaltheim, Pappenheim. Also dieses ganze Juragebiet in das Pauline zurückkehrt."

Hanns Zischler, Autor

In dieser fränkischen Juralandschaft lebt die über 80-jährige Pauline. Es ist der Sommer 1966 und sie bekommt Besuch von ihrer Freundin Elsa, einer Biologiestudentin Anfang zwanzig. Elsa hat Liebeskummer, denn ihre Beziehung mit einem verheirateten Professor ist in die Brüche gegangen.

Buchtipp Hanns Zischler - Der zerrissene Brief

Nun unterhalten sich die junge und die alte Frau über die Liebe. Und Pauline erzählt von ihrer Liebe zu Max, einem 30 Jahre älteren Weltenbummler und Maskensammler. Der stattet die damals 17-jährige Pauline mit 2.000 Reichsmark aus, damit sie nach New York geht, um ein paar Jahre später heiratsfähig zurückzukehren. Ein abenteuerliches Leben beginnt für Pauline mit vielen Reisen ins Zarenreich und nach Asien.

Erinnerung in Sprüngen

Erzählt wird das nicht chronologisch, sondern in Sprüngen, weil so nun mal das Gedächtnis funktioniert, erklärt Hanns Zischler. Pauline erinnert sich auch anhand von Artefakten wie Reisemitbringseln, Briefen und Zeitungsausschnitten, die teilweise im Roman abgedruckt sind.

"Das Artefakt erzählt sich selbst. Ich trete dahinter fast zurück als Schreibender, wenn ich das Artefakt sprechen lasse. Das heißt ich traue dem Artefakt durch die Wahl auch zu, etwas weiterzuerzählen und in einer anderen Weise als ich selbst es könnte. Also ein Zeitungsausschnitt mit einem Teeflecken, der ja im Buch vorkommt, oder auch das gestickte Rätsel mit dem Blutfleck, ist mehr als nur das Rätsel, das ich beschreiben würde."

Hanns Zischler, Autor

Paulines Liebesgeschichte wird nicht nur sprunghaft anhand von Erinnerungsstücken erzählt, sondern auch zu großen Teilen in Dialogen, hinter denen der Erzähler diskret zurücktritt.

"Ich könnte natürlich in eine Autorenposition zurückweichen und das von außen Umschreiben. Das widerstrebt mir aber, weil ich das als Einmischung empfinde. Wenn die beiden eine Stimme haben, dann möchte ich die auch hören. Dann möchte ich sie wirklich spüren und vernehmen und ihnen folgen."

Hanns Zischler, Autor

Zurückhaltender Erzähler

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Hanns Zischler: Der zerrissene Brief, Roman, Köln 2020, Verlag Galiani Berlin, 270 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3- 86971-207-9

Es sind gelungene Dialoge mit zwei unterschiedlichen Sprechhaltungen der beiden Frauen. Hier kann der Autor Hanns Zischler auf seine jahrzehntelange Erfahrung im Drehbuchlesen zurückgreifen. Dennoch gibt es auch einen Erzähler. Er ist zurückhaltend und gebildet, versteht es Atmosphären zu erschaffen und glänzt auch gerne mal mit ungewöhnlichen Metaphern. Da wird eine Straßenlaterne etwa zur Malerin und "tünchte Decken und Wände mit einem matten Firnis". Der Rauch einer Zigarette "kringelte sich um den steinernen Aschenbecher des Mondes". Und wenn Steinbrucharbeiter die Steinplatten mit Hämmern auf ihre Güte abklopfen, werden die hellen Töne mit "nach Luft japsenden Fischen" verglichen.

"Ich muss mir bestimmte metaphorische kleine Exzesse leisten können, wenn ich auf der anderen Seite höchste Diskretion übe. Ich will nicht in ein Metapherngewitter ausarten, sondern die müssen sehr vorsichtig, fast schon homöopathisch gesetzt werden. Und dann können sie, glaube ich, funktionieren."

Hanns Zischler, Autor

Bild über die Liebe

Die sparsame Dosierung der an Vladimir Nabokov geschulten Metaphern geht voll auf. Hanns Zischler ist ein einfühlsamer Sprachzauberer mit großem Formwillen. Er tupft seine kurzen Romanszenen hin wie ein impressionistischer Maler. Daraus entsteht ein sprachlich brillantes und wirklich schönes Bild über das Erinnern und die Liebe. Doch ist "Der Zerrissene Brief" bei aller Duftigkeit nichts für ungeübte Leser, die eine stringente Geschichte lesen wollen. Hanns Zischlers Roman ist ein Kunstwerk. Eines, das sich unbedingt zu lesen lohnt.


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