Hermann Kesten Dichter im Café
Ein neues Buch von Hermann Kesten? Aber der ist doch 1996 gestorben! Stimmt. Der Ars-Vivendi-Verlag bringt sein "Dichter im Café" nun noch einmal heraus. Und beginnt damit seine neue Reihe "Edition moderne fränkische Klassiker".
Das Kaffeehaus ist für den Nürnberger Hermann Kesten eine Lebensader. Vor allem, seit er 1933 wegen seines jüdischen Glaubens und wegen seiner politischen Überzeugung Deutschland verlassen hat und ins Exil gegangen ist. In Rom, Paris, London oder New York sitzt Kesten meist im prominentesten Café am Platze und berichtet von den "Schatten der vorigen und den Spektren der künftigen Gäste".
"Im Café war ich der einzige Gast. Ich setzte mich an meinen gewohnten Tisch, mit der Gelassenheit eines Rinderhirten, der am Abend ein Feuer anzündet und, auf einem gestürzten Baumstamm gelagert, still den Glocken seiner Kühe und dem schläfrigen Bellen seiner Hunde lauscht, ehe ihn die Sommernacht in ihren Mantel hüllt. Sogar im leeren Café fühle ich mich nicht einsam. An allen Tischen sitzen Schatten der vorigen und Spektren der künftigen Gäste. Servil und agil stehen die Kellner herum, randvoll von Ressentiments und stehenden Redensarten."
aus: 'Dichter im Café'
Dabei handelt es sich meistens ebenfalls um Schriftsteller. Kesten besitzt ein schier unerschöpfliches Wissen über die europäische und amerikanische Literaturgeschichte, das er dem Leser in seinem essayistischen Band "Dichter im Café" nahe bringen will. Dabei setzt er beim Leser selbst viel Wissen voraus. Wer die Autoren und literarischen Figuren, auf die sich Kesten bezieht, nicht kennt, kann schwer folgen, vieles bleibt blass und uninteressant. Richtig stark und lebendig wird das Buch nur, wenn Kesten von seinen eigenen Begegnungen berichtet. Er war im Ausland Verleger und hat viele andere Exilautoren getroffen:
"Hier saß ich mit Stefan Zweig und Ernst Toller, an diesem Tisch, als beide mir meine heitere Skepsis vorhielten. In unserer absolutistischen Epoche müssten Skeptiker umkommen. Man müsse aber unter allen Umständen am Leben bleiben, predigten mit damals Toller und Zweig gemeinsam, und das könne ein Schriftsteller nur, wenn er seinem Publikum gemäß lebe und schreibe. Individualisten wären immer umgekommen, und heute mehr denn je. Vor allem sollte ich auf Ironie verzichten, erläuterte Stefan Zweig. Ein Autor müsse seine Zeit, sein Publikum und seine Helden lieben."
aus: 'Dichter im Café'
Info & Bewertung
Hermann Kesten: Dichter im Café, Cadolzburg 2015, Ars Vivendi-Verlag, 372 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-86913-429-1
Bedeutende literarische Werke aus und von Franken sollen in der Reihe "Edition moderne fränkische Klassiker" noch einmal erscheinen, alles Literatur aus dem 20. Jahrhundert, hochwertig und bibliophil gebunden. Für den Ars Vivendi-Verlag war klar, dass er die Reihe mit Herrmann Kesten beginnt. Der ehemalige Präsident der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum gilt immer noch als Lichtgestalt in der fränkischen Literaturszene.
Ob allerdings das doch recht schwer zugängliche "Dichter im Café" die richtige Wahl war, sei dahingestellt. Verlagsleiter Norbert Treuheit hat zusammen mit seinem Lektor die Bücher ausgesucht und gibt zu, dass die beiden auch nach ihrem eigenen literarischen Geschmack vorgegangen sind. Alle sechs Monate soll ein neues Buch in der Reihe erscheinen. Es gehe ihm darum, einen fränkischen literarischen Kanon zusammen zu stellen, sagt Treuheit.
"Daran können viele erkennen, was alles in Franken entstanden ist, welche Qualität in Franken entstanden ist. Ich denke, es könnte auch ein bisschen Motivation sein für fränkische literarische Talente, die manchmal etwas alleine da stehen oder es zumindest meinen. Und für das Selbstbewusstsein der Franken ist das sicherlich ganz gut."
Norbert Treuheit
Zeitgleich mit Kesten kam bereits "Ein Unding der Liebe" vom Treuchtlinger Schriftsteller Ludwig Fels heraus, ein Roman über die Vereinzelung des Menschen. Bücher von Bernhard Kellermann und Jakob Wassermann sollen folgen. Es fällt auf, dass in diesem fränkischen Literaturkanon mit Gisela Elsner bisher nur eine Frau auftaucht. Das wird sich ändern, verspricht Verlagsleiter Treuheit. Auch Natascha Wodin, geboren und aufgewachsen in Fürth und Elisabeth Engelhardt aus Schwanstetten sollen in die "Edition fränkischer moderner Klassiker" aufgenommen werden
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