Ludwig Erhard "Erfahrungen für die Zukunft. Meine Kanzlerzeit"
Der in Fürth geborene Ludwig Erhard wird als Wirtschaftspolitiker gerühmt, als Bundeskanzler von 1963 bis 1966 gilt er als glücklos. Nun sind Memoiren von ihm über die Kanzler-Zeit erschienen. Von einem Ghostwriter verfasst, schildern sie Hintergründe der Kanzlerschaft. Lernt man dabei Neues?
Der Fürther Ludwig Erhard (CDU) gilt als bedeutender Wirtschaftspolitiker, aber als schwacher Bundeskanzler. Von 1949 bis 1963 setzte Erhard als Wirtschaftsminister die Soziale Marktwirtschaft durch und legte damit die Grundlagen des Wirtschaftswunders. Doch in seinen drei Jahren als Bundeskanzler von 1963 bis zu seinem erzwungenen Rücktritt 1966 konnte er kaum politische Akzente setzen. Jetzt sind fast 50 Jahre nach Ludwig Erhards Tod Memoiren aufgetaucht, die Rechenschaft über seine Kanzlerzeit ablegen.
Ludwig Erhard löst Konrad Adenauer als Bundeskanzler ab
Am 16. Oktober 1963 wurde Ludwig Erhard von der CDU vom Deutschen Bundestag in Bonn zum zweiten Kanzler der noch jungen Bundesrepublik gewählt. Er löste den mitten in der Amtsperiode zurückgetretenen 87-jährigen Konrad Adenauer ab, weil das der Koalitionsvertrag mit der FDP so vorsah.
"Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe."
Ludwig Erhard legt Amtseid ab
Ludwig Erhard – kein Machtpolitiker
Als Vater des Wirtschaftswunders und Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft war der korpulente, zigarrenrauchende Ludwig Erhard (1897 – 1977) aus Fürth unglaublich populär bei den Wählern und unverzichtbarer Stimmenbringer für die CDU. Doch als Kanzler versuchte Adenauer den in seinen Augen völlig ungeeigneten Erhard, der kein Machtpolitiker war, mit allen Mitteln zu verhindern. Selbst in Erhards Familie gab es Zweifel, ob er ein starker Bundeskanzler werden könne, so sein Neffe Karl Erhard und dessen Frau Regina:
"Machtpolitisch war er völlig anders gelagert als Konrad Adenauer. Er hat sich immer darauf verlassen, dass seine Ideen reichten zur Führung von Kabinett und Partei."
Karl Erhard, Neffe von Ludwig Erhard
"Ich erinnere mich, dass wir darüber in der Familie sprachen, als er Kanzler wurde. Und ich hatte Zweifel, ob er es durchsteht. Das Parteitaktische und das Fäden ziehen, das konnte ich mir bei ihm nicht vorstellen, und ich glaube, das lag ihm auch nicht. Er hatte nicht viel Gespür für Macht."
Regina Erhard, Frau von Ludwig Erhards Neffen Karl
Adenauer bleibt Widersacher
Erhard hatte Schwierigkeiten sich als Kanzler durchzusetzen, denn Adenauer blieb bis 1966 weiter Parteivorsitzender der CDU. Erhard setzte auf Lösungen von Sachproblemen und war kein Machtstratege, der gerne Strippen zog. So tanzte der Koalitionspartner FDP dem Kanzler oft auf der Nase herum, und auch Konkurrenten aus seiner eigenen Partei nutzten das Machtvakuum, um dem Kanzler zu schaden.
Die informierte Gesellschaft und die USA als enger Partner
Innenpolitisch wollte Ludwig Erhard die Gesellschaft reformieren. Er sprach von der "formierten Gesellschaft", womit er die informierte Gesellschaft meinte, die aus eigener Einsicht die notwendige Politik versteht und nachvollzieht.
Und er riet zum Maßhalten, was nicht gut ankam. Außenpolitisch setzte er voll auf die Allianz mit den USA und düpierte damit Frankreichs Avancen auf eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik. Sein damaliger Kabinettskollege Richard Stücklen erinnerte sich später:
"Ludwig Erhard war ein Atlantiker, das heißt er war nach Amerika orientiert. Amerika hatte Vorrang in seiner Außenpolitik gegenüber Frankreich. Da gab es sehr viele bei uns, das war auch Konrad Adenauer, der die deutsch-französische Freundschaft begründet hat, die das nicht gut fanden. Ludwig Erhard war hier kein besonders leidenschaftlicher Verfechter. Mit de Gaulle kam er einfach nicht zurecht. Da saßen sie eine Stunde vor dem offenen Kamin, haben in die Flammen geguckt und nicht mehr geredet miteinander. Das war nicht gut."
Richard Stücklen, CSU-Politiker (1916 - 2002)
Schwierige außenpolitische Konstellation – Beispiel Israel
Zwar versuchte Erhard den Beginn einer neuen Ostpolitik, indem er den kommunistischen Blockstaaten ein Gewaltverzichtsabkommen anbot. Gleichzeitig galt aber weiter die Hallsteindoktrin, die besagte, dass die BRD mit jedem Staat, der die DDR anerkenne, die diplomatischen Beziehungen abbrechen werde. Selbst die Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen mit Israel war in seinem Regierungskabinett umstritten und kam erst nach einem der wenigen Machtworte Erhards zustande.
"Die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen waren emotionsgeladen. Im Kabinett war darüber keine klare Entscheidung zu bekommen. Zwei Tage haben wir gerungen. Ich war dafür und habe den Entschluss durchgesetzt. Das einzige Mal übrigens bei der ich von der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers Gebrauch machte."
Ludwig Erhard
Das Ende der Kanzlerschaft
1965 gewann Ludwig Erhard die Bundestagswahlen deutlich gegen Willy Brandt von der SPD. Doch hinter den Kulissen planten die CDU-Konkurrenten schon die große Koalition ohne ihn. Als dann auch noch 1966 die FDP die Regierung wegen Haushaltsfragen verließ, war das Ende seiner Zeit als Bundekanzler gekommen.
Memoiren – nicht sensationell, aber bestädigend
Die jetzt aufgetauchten Memoiren Erhards sind keine so große Sensation, wie der Verlag sie anpreist. Das liegt zum einen daran, dass sie gar nicht von ihm geschrieben wurden, sondern vom Ghostwriter Johnny Klein, der eine Zeit lang Pressereferent des Bundeskanzlers war. Zum anderen sind die neuen Erkenntnisse daraus nicht so überraschend, dass sie zu einer kompletten Neubewertung der Kanzlerschaft Erhards führen.
Info & Bewertung
Ludwig Erhard: Erfahrungen für die Zukunft. Meine Kanzlerzeit, Erinnerungen herausgegeben von Ulrich Schlie im Auftrag der Ludwig-Erhard-Stiftung, Berlin 2024, Econ Verlag, 335 Seiten, 22,99 Euro,
ISBN 978-3-430-21116-1
Im Großen und Ganzen ist das Urteil der Nachwelt über den glücklosen Kanzler stimmig. Auch lesen sich die Memoiren etwas dröge. Erst durch das umfangreiche Nachwort von Ulrich Schlie und einem ausführlichen Anhang wird die Zeit wieder lebendig und nachvollziehbar.
Parallelen zu heute? Durchaus gegeben!
Interessant dagegen sind Erhards geschilderten Probleme. Denn ein querschießender Koalitionspartner FDP, die Frage nach dem richtigen Umgang mit Israel, ein Aggressor in Russland und eine US-Regierung, die die Lasten der Verteidigung auf die Europäer abwälzen will, sind auch heute wieder so aktuell wie vor 60 Jahren. Ein lesenswertes Buch für politisch Interessierte.