Kathrin Groß-Striffler Zum Meer
Für ihren Debüt-Roman "Die Hütte" hat sie gleich den Alfred-Döblin-Preis erhalten. Nun legte die in Franken geborene Kathrin Groß-Striffler ihren neuen Roman vor. "Zum Meer" schaut in die Abgründe des Familienlebens.
"Mich interessieren nicht die Leute, bei denen es glatt geht und alles hinhaut. Das ist ja auch langweilig. Es muss schon knirschen, man muss sich im Weg stehen und es muss alles schwierig sein."
Autorin Kathrin Groß-Striffler
Eine Happyend-Autorin ist Kathrin Groß-Striffler gewiss nicht. Sie schaut in die Abgründe des Familienlebens und hat ein Faible für komplexe Charaktere. In dem Roman "Zum Meer" ist es die junge Saskia. Eine Schulabbrecherin, die ihr Glück in Brasilien suchte, sich in den Favelas in einen drogensüchtigen ehemaligen Straßenjungen verliebte, von ihm schwanger wurde und nun ich Deutschland mit ihrer milchkaffeebraunen Tochter Mia-Sophie als alleinerziehende Mutter total überfordert ist.
"Sie ist voller Probleme. Sie ist in Teilen auch noch ein bisschen pubertär. Sie ist aufbrausend, leidenschaftlich. Will immer alles oder nichts, immer schwarz oder weiß, immer ganz oben oder ganz unten. Sie ist Frau der Extreme. Sie ist gleichzeitig sehr sensibel, leidet sehr unter verschiedenen Dingen, nimmt sie stärker wahr, als es vielleicht andere Menschen."
Autorin Kathrin Groß-Striffler
Saskias Mutter starb als sie zwei Jahre alt war. Ihr Vater, ein Apotheker, der über den Verlust seiner Frau nie hinwegkam, wurde zum Alkoholiker. Aufgezogen wurde sie ohne Elternliebe. Der Roman beginnt damit, wie Saskia ihre etwa anderthalbjährige Tochter Mia-Sophie in ihrer WG zurücklässt und auf eine Ostseeinsel verschwindet, um der Winterdepression zu entkommen.
"Wenn nur Mia hier wäre, wenn ich mich um sie kümmern könnte, ich würde ihr den Schneeanzug anziehen und die Stiefelchen, ich würde sie auf meinen Schoß setzen und von den Wichteln erzählen, ich würde sie herzen, nicht wahr, liebhaben würde ich sie, bis die Schwärze sich auch im Zimmer ausgebreitet hätte, denn der entkommt man nicht, am Ende ist sie es, die Sieger ist, das weiß ich genau, und Mia-Sophie würde zu weinen beginnen. Wie mich das nervt, wenn Kinder weinen, greinen, nölen, quengeln, ich schnappe nach Luft. Aber sie ist nicht da. Mia-Sophie ist nicht da. Das ist gut, denn nun muss ich keine Angst haben, dass ich ihr etwas zuleide tun könnte."
Buchzitat 'Zum Meer'
In einem Inneren Monolog mit Wort- und Bildkaskaden, der einen sofort in seinen Bann zieht, verfolgt man gleichsam berührt und befremdet, wie Saskia Kontakt zu ihrem Vater sucht, mit ihrer Tochter nach Brasilien geht, desillusioniert vom Kindsvater zurückkehrt und einfach nicht fertig wird mit ihrer Rolle.
Ein Gefühl, das wohl jede Mutter kennt, meint Kathrin Groß-Striffler.
Doch sieht sie sich nicht selbst in der Figur der Saskia, sondern eher die Generation ihrer Kinder.
"Ich habe zwei Töchter und zwei Söhne. Eine Tochter reist sehr oft nach Brasilien, macht dort Sozialarbeit und arbeitet mit Straßenkindern. Von ihr habe ich dieses Lokalkolorit aus Brasilien. Sie hat mir die Situation auf den Straßen geschildert. So kam ich auf die Idee: Wie wäre es eigentlich, wenn man als junge Frau von so einem Kerl schwanger wird. Ich habe mich mehr auf die Generation meiner Kinder eingelassen. Auch in der Sprache übrigens."
Autorin Kathrin Groß-Striffler
Info & Bewertung
Kathrin Groß-Striffler: Zum Meer, Berlin 2014, Aufbau Verlag, 252 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 19,95 Euro, ISBN 978-3-351-03291-3
"Zum Meer" ist alles andere als eine leichte Sommerlektüre, wie es der Titel suggerieren mag. Es ist ein kunstvolles und authentisches Stück Literatur.
Während Kathrin Groß-Striffler einen anderen ihrer Romane mehrfach umschreiben musste, bis sie den richtigen Ton und die richtige Perspektive gefunden hatte, gesteht sie, war das Schreiben dieses hier ein einziger Schaffensrausch.
"Wenn ich in meinen Texten drin bin, egal in welchem, dann bin ich da voll drin. Dann mache ich auch die entsprechenden Gesten dazu. Da stöhne ich auch manchmal am Schreibtisch. Ich schreibe sehr diszipliniert von bis. Und wenn dann bis ist, lasse ich den Stift sinken oder den Computer und dann ist alles weg. Dann denke ich an überhaupt nichts mehr. Dann führe ich meinen Hund oder gehe schwimmen. Und wenn ich nachmittags wieder schreibe, brauche ich wieder eine kurze Weile bis ich wieder drin bin und dann bin ich wieder völlig weg."
Autorin Kathrin Groß-Striffler
Stichwort: Kathrin Groß-Striffler
Die 1955 in Würzburg geborene, in Nürnberg und in Bad Königshofen aufgewachsene und heute in Jena lebende Autorin Kathrin Groß-Striffler gilt als große Schilderin familiärer Abgründe und komplexer Charaktere. Die Zeit urteilte über sie: "Die Autorin schlägt das Familienalbum verlässlich dort auf, wo die Seiten fein säuberlich herausgetrennt sind, und stellt jene gefährlichen Fragen, die man nicht stellen darf." Zum Schreiben kam Kathrin Groß-Striffler erst relativ spät, nachdem ihre vier Kinder geboren waren. Für ihren Debüt-Roman "Die Hütte" erhielt sie gleich den Alfred-Döblin-Preis. Insgesamt erschienen drei Bände mit Erzählungen: "Unterholz" (2000), "Herr M und der Glaube ans Glück" (2004), "Domino" (2007) sowie vier Romane: "Die Hütte" (2003), "Das Gut" (2003), "Gestern noch" (2007) sowie "Zum Meer" (2014)
Und falls Sie die Autorin einmal selbst Lesen hören wollen: Kathrin Groß-Striffler stellt den Roman auf dem Erlanger Poetenfest vor, und zwar am Sonntag, den 31. August 2014 um 13.30 Uhr.
Kommentieren