Suchtmediziner im Interview Jahrelanger Kampf gegen Crystal
Crystal ist die gefährlichste Droge der Welt. Viele Menschen werden gleich bei der ersten Einnahme abhängig. Im BR.de-Interview erklärt Roland Härtel-Petri vom Bezirkskrankenhaus Bayreuth, warum die Substanz so gefährlich ist.
BR.de: Herr Härtel-Petri, Crystal scheint derzeit ein großer Trend in der Drogenszene zu sein. Warum ist das so?
Roland Härtel-Petri: Crystal ist bereits seit 1997 in Oberfranken weit verbreitet, seit dem Jahr 2009 auch bundesweit. Das große Problem ist, dass Methamphetamin - häufig Crystal, Meth oder C genannt - eine sehr stark abhängig machende Droge ist. Nach Cannabis ist Meth die weltweit am häufigsten konsumierte illegale Droge. Seit der Liberalisierung des Drogengesetzes in Tschechien hat zudem ein massiver Preisverfall eingesetzt. Inzwischen taucht Methamphetamin auch in gesellschaftlichen Kreisen auf, die vorher überhaupt keinen Drogenkontakt hatten.
BR.de: Welche Menschen probieren Crystal?
Roland Härtel-Petri: Besonders jüngere Menschen sind sehr anfällig für Methamphetamin. Neu bei Crystal ist, dass auch immer mehr Menschen zwischen 30 und 45 Jahren abhängig werden: Darunter sind etwa alleinerziehende Mütter, die über einen neuen Partner in Kontakt mit der Droge kommen und sie nehmen, um mehr Spaß am Sex zu haben. Andere Frauen nehmen Methamphetamine, um Gewicht zu verlieren. Jugendliche und Studenten sind gefährdet, weil sie unter Umständen schon andere Drogen probiert haben und nicht glauben, dass Crystal viel gefährlicher ist.
BR.de: Ist Crystal eine "Einstiegsdroge" oder steigen andere Abhängige auf Crystal um?
Roland Härtel-Petri: Wir sehen ganz viele Patienten, die zunächst Nikotin oder Alkohol konsumieren. Beim illegalen Konsum ist dann aber tatsächlich Crystal immer wieder vor dem Kiffen die Einstiegsdroge. Andererseits gibt es aber auch langjährige Heroinabhängige, die Crystal probieren und dann umsteigen. Das deckt sich auch mit Studien aus anderen Teilen der Welt.
BR.de: Was ist an Crystal so gefährlich?
Roland Härtel-Petri: Crystal ist in hochreiner Form auf dem Markt. Weil Methamphetamin außerdem weniger Herzrasen verursacht als "normales" Amphetamin, wird es häufig in höheren Dosierungen eingenommen. Dies führt dazu, dass durch die hohen Konzentrationen die Ausläufer von Nervenzellen im Gehirn absterben. Deswegen ist die Erholungsphase bei Crystal-Abhängigen viel länger. Deswegen existiert eine höhere Rückfallgefahr.
BR.de: Was verstehen Sie unter der Erholungsphase?
Roland Härtel-Petri: Nach Einnahme einer Droge werden körpereigene Substanzen ausgeschüttet, die Glücksgefühle und Euphorie hervorrufen. Wenn die Wirkung der Droge abklingt, sind die körpereigenen Speicher für diese Botenstoffe wie Dopamin aber leer: Man fällt in ein tiefes Loch: Man ist müde, hat keine Lust mehr, fühlt sich klein und hässlich. Zunächst dauert die Erholungsphase, also die Zeit, bis der Körper wieder "normal funktioniert", drei oder vier Tage, bei regelmäßiger Einnahme einige Monate. Bei Crystal dauert dies aber nach häufigerem Konsum ein bis zwei Jahre, da die Ausläufer der Nervenzellen im Gehirn, die sogenannten Axone, abgestorben sind und sich erst wieder regenerieren müssen.
BR.de: Wofür sind die Axone wichtig?
Roland Härtel-Petri: Die Axone leiten die Nervenimpulse weiter, zum Beispiel im Belohnungs/Motivationsssystem, damit einem das, was man tut, etwas Spaß macht. Unter Crystal macht alles Spaß, selbst sinnlose Tätigkeiten wie einen Kugelschreiber stundenlang auseinanderzubauen. Im Entzug und in der Erholungsphase der Nervenzellen kann sich ein Drogen-User dann aber kaum zu den Notwendigkeiten des täglichen Lebens aufraffen. Die Umwelt merkt diese vermeintliche "Faulheit", diese Trägheit, unter der die Betroffenen meist selber leiden, sehr rasch. Berechtigte Konflikte in Schule, Ausbildung und der Familie sind die Folge.
BR.de: Wie wird Crystal eingenommen?
Roland Härtel-Petri. Die Form der Verabreichung ist ein ganz großes Problem bei Crystal: Das klassische Amphetamin wurde in Tablettenform mit ganz kleinen Wirkstoffmengen eingenommen. Crystal wird geschnupft oder geraucht. Jede Substanz, die direkt über die Schleimhäute ins Gehirn kommt, führt aber zu einer viel schnelleren Aktivierung des Belohnungssystems und macht viel schneller abhängig. Deswegen macht etwa das Rauchen von Zigaretten auch so schnell abhängig. Die "Belohnung" für die Einnahme ist sofort da. Es ist auch intravenöser Konsum von Crystal möglich. Das ist allerdings schon ein Zeichen von schwerer Abhängigkeit.
BR.de: Warum ist die Verbreitung der Droge so schwer zu kontrollieren?
Roland Härtel-Petri: Soweit ich das als Mediziner beurteilen kann und meine Patienten mir das mitteilen, haben die Konsumenten keine Angst mehr davor, sich die Substanz in Tschechien zu kaufen. Erstkonsumenten fahren oft als "Wochenendgag" rüber, um sich das Zeug zu besorgen. In der Tschechischen Republik ist der Besitz von bis zu zwei Gramm Methamphetamin nur eine Ordnungswidrigkeit. Und wer Crystal einmal eingenommen hat, ist leider zu häufig schon abhängig.
BR.de: Wie viele Menschen werden wirklich beim ersten Mal abhängig?
Roland Härtel-Petri: Ich bin entsetzt, wie viele meiner Patienten sagen, dass sie beim ersten Mal abhängig geworden sind. Bei anderen Drogen haben viele Patienten anfangs einen zumindest subjektiv kontrollierten Konsum betrieben. Bei Methamphetamin haben viele recht früh den Wunsch aufzuhören und schaffen es einfach nicht. Es gibt einfach Substanzen, mit denen sollte man nicht ein einziges Mal herumexperimentieren, auch nicht als Erwachsener. Deshalb halte ich das amerikanische Projekt "Meth - not even once" für sehr sinnvoll.
BR.de: Warum macht Crystal so schnell abhängig?
Roland Härtel-Petri: Wenn die Leute Crystal schnupfen oder rauchen, haben sie eine so große Mengen Methamphetamin im Gehirn, dass sie dieses Glücksgefühl nie wieder vergessen. Danach kommt aber schnell der Katzenjammer. Und gerade dieser Kontrast ist besonders stark. Wer Zigaretten raucht, dem wird sofort schlecht. Wer viel trinkt, muss sich sofort übergeben. Diese negativen Folgen sorgen danach für einen gemäßigten Konsum. Einen solchen Mechanismus gibt es aber bei Crystal nicht.
BR.de: Welche körperliche Folgen zieht der Konsum von Methamphetamin nach sich?
Roland Härtel-Petri: Die körperlichen Folgen sind für uns gar nicht so sehr das Problem. Es sind aber die Folgen, die in den Medien eindrucksvoll gezeigt werden können. Bei häufiger Einnahme von Methamphetamin bilden sich am ganzen Körper große Pickel aus. Diese heilen aber nach einigen Wochen ohne Folgen aus, nur manchmal gibt es Narben. Zähne fallen aus, aber in Deutschland haben auch Drogenabhängige eine Krankenversicherung. Den "Methmouth" gibt es in den USA aber tatsächlich, die Bilder des "Meth - not even once"-Projektes sind nicht übertrieben.
BR.de: Also sind die psychischen Folgen das größere Problem?
Roland Härtel-Petri: Abhängige werden so psychotisch, dass sie mit einer Axt oder einer anderen Waffe auf ihre besten Freunde losgehen, weil sie denken, diese wären Monster. Patienten haben mir bestätigt, dass dies die Realität ist. Jeder meiner Patienten kennt diese Situation. Wer lange von Methamphetamin abhängig ist und keine Hilfe sucht, landet oft in einer psychiatrischen Anstalt. Aber in der Psychiatrie gibt es dann wenigstens endlich Hilfe. Schöner wäre, die Drogen-User würden rechtzeitig zu den Suchtberatungen gehen. Die Abhängigkiet ist behandelbar, erfolgreich.
Das Interview führte Franz Engeser.
Weitere Informationen
Roland Härtel-Petri ist Leitender Oberarzt der Abteilung für Klinische Suchtmedizin am Bezirkskrankenhaus Bayreuth und war langjähriger Leiter der Suchtfachklinik Hochstadt am Main. Er betreut seit über 15 Jahren Amphetamin- und Methamphetamin-Abhängige und ist gefragter Redner bei Fachkongressen.
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Antonia, Dienstag, 23.April 2013, 22:44 Uhr
1. sucht beendet
Hallo,
ich war auch drogensüchtig, habe aber von einem Tag auf denanderen aufgehört, weil ich es einfach wollte. Meine Frage ist, wie viele Leute schaffen es wirklich nach längerem Konsum mit Crystal wieder aufzuhören?