Bauhaus & Co. in Bayern Kulturkampf und Wohnungsnot
Sieben Leute in zwei Zimmern - im Münchnen der 20er-Jahre keine Seltenheit. Gebaut wird trotzdem wenig, und wenn, dann wie in der guten alten Zeit. Nürnberg und Augsburg sind schon weiter.
Um 1928 wachsen in Nürnberg und Augsburg, noch etwas zaghaft, die ersten dezidiert modernen Bauten aus dem Boden. Schon wird viel gesprochen "vom Neuen Stuttgart wie vom Neuen Frankfurt; ein Neues München erscheint dagegen nur als Faschingsnummer der 'Baukunst' und als Witzzeitung", resümiert der Architekturexperte Winfried Nerdinger. Dabei braucht die Landeshauptstadt damals wie heute vor allem eines: Bezahlbaren Wohnraum.
Bauklüngel kontra "Geistesbolschewismus"
Die Sehnsucht der Münchner nach der Prinzregentenzeit und die mal mehr, meist aber weniger gutmütigen Ressentiments gegen Neues und Außerbayerisches gehen in dieser Phase wirtschaftlicher Verwerfungen eine unheilige Allianz mit der Kirchturmpolitik der Bau- und Architekturszene ein, die Bauprojekte wie die Stuttgarter Weißenhofsiedlung am liebsten von Amts wegen verbieten lassen würde. "Bolschewismus des Geistes": So lautet der Kampfbegriff, mit dem soziale und ästhetische Neuerungen gleichermaßen abgebügelt werden. Architekten wie German Bestelmeyer - von 1924 bis 1942 Präsident der Akademie der Bildenden Künste - beharren wie zu Kaisers Zeiten auf neoklassizistischen Bauten, deren in der Summe sterile Monumentalität kaum erkennen lässt, was 1910, 1928 und 1936 gebaut worden ist.
Burg, Bürger, Nagelfluh: Der "Münchner Weg"
Wo die Verhältnisse Kompromisse erfordern, fallen sie nicht selten so kurios aus wie Münchens erstes - und für lange Zeit einziges - Hochhaus: Hermann Leitenstorfers zwölfgeschossiges "Technisches Rathaus" ist eine der Gegenwart und der Vertikalen misstrauende Kreuzung aus Skyscraper und Ritterburg mit Ziegelfassade, erkerbewehrter "Krone" und einem massiven Sockel aus dem Allgäuer Urgestein Nagelfluh.
Im besten Fall - wenn etwa Theodor Fischer, Gustav Gsaenger oder Otho Orlando Kurz am Reißbrett sitzen - entwickelt der "Münchner Weg", eine Melange aus gehobenem Gemeindebau- und Heimatschutzstil, durchaus Charme. Besonderen Reiz besitzt die 1929 fertiggestellte "Borstei" des kunstsinnigen Bauunternehmers Bernhard Borst, der an der Tramlinie nach Moosach auf 64.000 luftig bebauten Quadratmetern ein Dornröschenidyll mit Heizkraftwerk errichtet
Sozialer Fortschritt Münchner Art: Putzfrau statt Kehrwoche
Borst, der auch die Zeitschrift "Die Baukunst" herausgibt, will "das Schöne der Einfamilienhäuser mit dem Praktischen der Etagenwohnung" verbinden und ist auch um den sozialen Frieden innerhalb seiner Mauern bemüht. "Von 100 Streitfällen zwischen Hausfrauen [drehen sich] 80 um die Waschküche, den Speicher oder die Treppenreinigung", weiß Borst von seinem Anwalt, installiert einen verbindlichen Wäscheservice und die Treppenreinigung. Auf die "große" soziale Frage hat das gediegene Wohnprojekt indes keine Antwort.
Hauptsache bequem
Schlimmer als mangelnde gestalterische Klasse macht sich die fehlende Masse bemerkbar: Das Ideal der Modernen, mit geringen Mitteln hochwertigen Wohnraum zu schaffen, wird in der Landeshauptstadt kaum ausformuliert. Von 1871 bis zum 1. Weltkrieg hat sich die Zahl der Münchner auf über 600.000 verdreifacht; die Mehrzahl kann von gutsituierter Bürgerlichkeit nur träumen. Dennoch macht die Münchner Wohnungsbau AG als Hauptzielgruppe Bürger aus, "die imstande sind, für geräumige Wohnungen mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet und auch ästhetisch befriedigend einen entsprechenden Mietpreis zu zahlen". Ein Münchner Großbauunternehmer schlägt BVP-Oberbürgermeister Karl Scharnagl vor, anstelle von Siedlungsbau lieber Luxuswohnungen für pensionierte Großindustrielle zu errichten. Die Folgen sind bedrückend.
"Eine achtbare Familie bewohnt mit 7 Kindern im Alter bis 17 Jahre, Buben und Mädel durcheinander, Küche und Zimmer. Die Folge: Das 15-jährige Mädchen wird Mutter, der 17-jährige Sohn kommt ins Gefängnis wegen Blutschande. Die Familie, die seit Jahren um eine größere Wohnung nachsucht, bittet auf Grund dieses Vorfalles um erneute Berücksichtigung - sie wird abgewiesen."
Gewerkschaftsbericht 1925, zit. nach Klaus Schumann, Kommunalpolitik in München 1918 - 1933
Augsburg: Neue Fuggerei gesucht
Anderswo ist man weiter. In Augsburg registrieren die Behörden Ende der 20er-Jahre 10.000 Wohnungssuchende. 1927 nimmt die Wohnungsbaugesellschaft ihre Arbeit auf und stampft in kurzer Zeit rund ein Dutzend Großwohnanlagen aus dem Boden. Als Bayerns erste Siedlungen im Bauhaus-Stil errichtet Thomas Wechs 1928 Schubert- und Lessinghof.
Nürnberg: Masterplan und Meisterarchitektur
Um Nürnberg kümmert sich von 1921 bis 1928 ein Star der Stadtplanung: Hermann Jansen hat 1908 den Generalbauplan für Berlin entworfen, ab 1928 plant er das neue Ankara. Dazwischen stellt er die Weichen für eine Frankenmetropole, in der bis zu 700.000 Menschen Wohnraum finden sollen.
Zwischen Kriegsende und 1933 entstehen große Sozialwohnprojekte - von den Dorfanger-artigen Siedlungen Buchenbühl und Loher Moos bis zu der von Karl Sorg gestalteten Siedlung um den Dr. Luppe-Platz. Dazwischen entsteht eine Reihe herausragender Einzelbauten von der "Fränkischen Tagespost" bis zum Frankenstadion.
Vieles begegnet uns heute nur noch auf Fotos: Das Planetarium am Rathenauplatz fiel dem antimodernen Furor der Nazis zum Opfer, Erich Mendelsohns "Kaufhaus Schocken" den Bomben und der legendäre "Plärrerautomat" dem U-Bahnbau. 2008 wird auch Ernst Otto Schweizers Milchhof plattgemacht.
Literatur
Christoph Stölzl (Hg.), Die Zwanziger Jahre in München. Katalog zur Ausstellung im Münchner Stadtmuseum, 1979, darin besonders:
Klaus Schumann, Kommunalpolitik in München 1918 -1933
Winfried Nerdinger, Die 'Kunststadt' München
Felix Billeter/Antje Günther/Steffen Krämer (Hg.), Münchner Moderne. Kunst und Architektur der zwanziger Jahre. München, Berlin 2002
Alexander Schmidt, Kultur in Nürnberg 1918-1933. Die Weimarer Moderne in der Provinz, Nürnberg 2005.