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Streit ums Reinheitsgebot Gerste-Hopfen-Wasser. Sonst nichts?

Das ist beim 500. Geburtstag nicht anders als beim 50.: Man will bloß feiern, aber dann schießt wer quer. In diesem Fall sind es Lebensmittelchemiker, Historiker und Bierrebellen, die das Reinheitsgebot kritisch unter die Lupe genommen haben. Wieviel Vertrauen haben Sie?

Von: Michael Kubitza

Stand: 12.04.2016 | Archiv

Illustration: Bier mit Label auf dem die verbotenen Inhaltsstoffe: Tollkirschen, Ochsengalle, Pech und Bilsenkrauf aufgelistet sind | Bild: colourbox.com; Montage: BR

Thema

Prost Bayern: Am 23. April feiert Bayerns populärstes Gesetz 500. Geburtstag. Unsere Serie stellt das "Bierland Bayern" in allen Facetten vor. Heute: Neue Debatten um ein altes Gebot.

Gerste-Hopfen-Wasser. Sonst nichts. Sozusagen: Keine Kompromisse. Wie die Halbe ins Glas passt das 500 Jahre alte Reinheitsgebot in unsere Zeit, in der vielen vieles längst zuviel ist (Menschen! Mails! Optionen!) und die Lebensmittelindustrie bevorzugt anpreist, was alles nicht im Essen ist (Glutenfrei! Zuckerfrei! Ohne Geschmacksverstärker!).

Hätte es 1516 schon Bierflaschen und Etiketten gegeben und wäre der durchschnittliche Biertrinker des Lesens kundig gewesen, hätte er zufrieden zur Kenntnis genommen, dass sein Bier keine Ochsengalle mehr enthalten darf. Das gilt bis heute. Und sonst?

"Das Reinheitsgebot sichert seit fast 500 Jahren die Bier-Qualität."

Deutscher Brauer-Bund e.V.

Darauf kann man sich sauber was einschenken, sagen die Freunde des Reinheitsgebots. Besser nicht, sagen die anderen. Ausgerechnet zum Jubiläumsjahr schickt sich ein breiter Chor von Skeptikern an, den Fans ins Bier zu spucken.

Das Reinheitsgebot war gar kein Reinheitsgebot, sagen Historiker.
Das Reinheitsgebot ist gar kein Reinheitsgebot,
sagen manche Lebensmittelkundler.
Es tötet die Fantasie,
sagen die Braurebellen.
Ein Überblick.

1. Die Historiker: Werbetrick statt reine Wahrheit

"Die Staatsregierung pflegt hier ein Klischee, das gar nicht von der historischen Faktenlage gedeckt ist", sagt Wolfgang Hoderlein. Hoderlein war mal bayerischer SPD-Chef, ist heute Vorsitzender des Fränkischen Bundes. Ihn wurmt, dass die Bier-Landesausstellung 2016 im niederbayerischen Kloster Aldersbach stattfindet - wo doch eine jüngst entdeckte Urkunde belegt, dass Bambergs Fürstbischof Heinrich II. bereits 27 Jahre vor dem Jubeljahr 1516 eine Art Reinheitsgebot erlassen hat, das in weiten Teilen Frankens Gültigkeit besaß.

Fränkisch-zänkisches Nachkarteln? Tatsächlich gab es vor 1516 schon diverse ähnliche Gesetze - 1156 in Augsburg, 1293 in Nürnberg, 1363 in München, 1447 in Regensburg. Ob sie "Reinheitsgebote" waren, darüber lässt sich streiten. "Ungeldverordnung" hieß der Erlass des Fürstbischofs, und der "Paragraf 1516" des Bayernherzogs (der außerdem den Bierpreis bei acht Pfennig festlegte) ist nur einer von vielen Beschlüssen auf dem Landständetag.

Der Begriff "Reinheitsgebot" ist vier Jahrhunderte jünger. Erstmals taucht er 1918 in einem Protokoll des Bayerischen Landtags auf - als Alleinstellungsmerkmal für Bayerns längst weltweit werbende Brauindustrie. Verbraucherschutz spielte im späten Mittelalter nur eine Nebenrolle, ist der Kulturwissenschaftler Manuel Trummer überzeugt. In erster Linie ging es Wilhelm IV. darum, den damals im Biermarkt dominierenden Preußen etwas entgegenzusetzen. Und darum, mit dem Weizen zu geizen.

"Vor dem Hintergrund der Hungersnöte in jener Zeit war es das Ziel, den Weizen fürs Brot, fürs Bäckereiwesen zu reservieren und fürs Bier nur die Gerste zu verwenden."

Manuel Trummer, Lehrstuhl für vergleichende Kulturwissenschaft an der Uni Regensburg

Schon 35 Jahre später, so Trummer, ist Koriander als Zutat wieder erlaubt. Wilhelms geschäftstüchtige Nachfolger schicken Braumeister nach Böhmen, um sich ein Rezept ausgerechnet für Weizenbier abzugucken; mit dem Braumonopol auf das neue Lifestyle-Getränk sichern sich die Wittelsbacher eine für Jahrhunderte sprudelnde Einnahmequelle.

Historisch sensibel mahnte die Verbraucherzentrale im März denn auch den Erdinger Weißbräu ab, der mit dem Gebot von 1516 geworben hatte. Ihr nüchterner Befund: "Aktuell wird die Durchsetzung des Reinheitsgebotes durch das Vorläufige Biergesetz vom 29. Juli 1993 geregelt."

2. Die Lebensmittelkundler: Pellets-Malz-Polyvinylpolypyrrolidon

Bier von gestern. Was zählt: Kein Pech, keine Trompetenblumen und keine harten Eier mehr im bayerischen Bier. Nur Gerste-Wasser-Hopfen. Dazu je nach Sorte noch Hefe, Kohlensäure, Stickstoff und (seit 1906 und nur außerhalb Bayerns) Zucker. In geringen Spuren auch Glyphosat, wie eine umstrittene Studie des Münchner Umweltinstituts gezeigt hat.

"Es ist perfide und abgeschmackt, wie es das Umweltinstitut tut, diese Untersuchungen mit dem Reinheitsgebot in Verbindung zu bringen: Das Reinheitsgebot bezieht sich auf Zutaten im Bier, nicht auf deren Inhaltsstoffe."

Der Verband 'Die Lebensmittelwirtschaft' zur Studie des Münchner Umweltinstituts

Zutaten, nicht Inhaltsstoffe: Da liegt der Hund begraben. Der glyphosat-bedingte Sturm im Bierglas hat aufgewirbelt, was sonst noch alles im Bier schwimmen kann.

Besonders häufig: Pestizide. Manche Brauereien kaufen Hopfenpellets auf dem Weltmarkt, ohne genau zu wissen, wie sie produziert wurden. Und auch in der Hallertau und in Spalt wird gespritzt. Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit stellte in einer Großuntersuchung 2007 Rückstände in 43 von 45 Hopfenproben fest - die meisten im gesetzlich erlaubten Rahmen. Legal ist auch die Verwendung von Polyvinylpolypyrrolidon, einem Plastikpulver, das als "technischer Hilfsstoff" zur Filterung des Bieres verwendet wird.

"Am Anfang wurde man in der Branche als Spinner hingestellt", sagt Xaver Weydringer, der in Roth eines der ersten Bio-Biere Bayerns herstellt. Inzwischen steigt der Umsatz der drei Dutzend deutschen Biobrauer. Besser als Eigenwerbung sind Schlagzeilen über Dinge, die immer mal wieder im "normal reinen" Bier auftauchen, obwohl sie das amtlich nicht dürfen. Nitrat im Wasser. Nitrosamin, das beim Darren der Gerste entsteht. Arsen, das beim Filtrieren ins Bier kommen kann, und 2013 in doppelter Konzentration des WHO-Wertes für Wasser gefunden wurde.

"Mit dem Reinheitsgebot ist es wie mit den Bildern von glücklichen Kühen auf der Weide: Vermittelt wird ein positives Gefühl für das Produkt - nicht ein Spiegel der realen Produktionsbedingungen."

Armin Valet, Verbraucherzentrale Hamburg, Abteilung Lebensmittel und Ernährung

Gesundheitliche Schäden stehen nach Meinung der meisten Experten nicht zu befürchten - solange man sein Bier maß- und nicht fassweise konsumiert. Und der bei Weitem schädlichste Bestandteil des Bieres, der Alkohol, ist auf dem Etikett präzise angegeben.

Zur Verklärung des Biers besteht aber auch kein Anlass. In der Statistik der Lebensmittelüberwachung hatten Bier und bierähnliche Produkte samt ihrer Rohstoffe 2014 eine Beanstandungsquote von 13,3 Prozent. Bei allen Produktgruppen waren es acht Prozent. Ähnliches muss auch der UNESCO-Kommission durch den Kopf gegangen sein, die einen Antrag des Brauerbunds, das Reinheitsgebot zum Weltkulturerbe zu erklären, fürs Erste zurückwies.

"Wir hatten auch den Eindruck, dass die Bierproduktion inzwischen sehr industriell geprägt ist. Der Mensch als Wissensträger der Brautradition scheint zunehmend eine nachrangige Rolle zu spielen."

Christoph Wulf, Vorsitzender des UNESCO-Auswahlgremiums

3. Die Bier-Rebellen: Aufstand gegen das "Einheitsgebot"

"Die Lebensmittelüberwachung hat gesagt, es ist kein Bier, der Zoll hat erklärt, es ist Bier. Damit war die Konfusion bei uns komplett", erzählt Götz Stein von Camba Bavaria. Die ganze Geschichte: Die Brauerei hatte "Milk Stout" erfunden, eine Kreation mit Molke - laut Reinheitsgebot kein Bier, weshalb der Brauer neue Etiketten druckte, die ein "vergorenes alkoholhaltiges Getränk" ankündigten. Das aber passte dem Zoll nicht, der das Milk Stout als Bier deklariert sehen wollte. Am Ende kippte Stein das Bier weg.

Einige Bierrebellen wollen ihr Eigenbräu aber doch lieber ausschenken statt es auszuschütten.

Die Rede ist nicht von Panschern, die Gift und (Ochsen-)Galle unter die Leute bringen wollen. Die Rede ist von experimentierfreudigen Brauern, die mit Salz und Koriander, Lorbeer und Lavendel, Kirschsaft und Kartoffeln neue Geschmackserlebnisse zaubern möchten - mit Zutaten also, die durchaus rein, sogar bio sein können, aber nicht dem Reinheitsgebot entsprechen. Geschmacksache, sicher. Und nötig, so die Fans des Reinheitsgebots, hat unser Bier sowas nicht.

"Man hat mittlerweile so viele verschiedene Arten an Hopfen und Malzsorten, da kann man unendlich damit spielen und Biere bringen, die immer ganz anders schmecken."

Michael Gilg, Griesbräu Murnau

"Neumodischer Schmarrn" ist es aber nicht. Die Variante mit Koriander und Salz etwa ist in Mitteldeutschland schon seit Jahrhunderten unter dem Namen Gose bekannt (der sich von der Stadt Goslar ableitet wie der bayerische Bock vom niedersächsischen Einbeck). Und warum soll deutschen Brauern verboten sein, was ihren Kollegen in den USA, Belgien oder Österreich kreativen Auftrieb verschafft?

"Wir glauben, dass man das eine tun kann, ohne das andere zu lassen. Das Reinheitsgebot sollte Bestand haben. Und darüber hinaus sollte die Produktion von Bieren nicht nach dem Reinheitsgebot, aber auf Basis von natürlichen Rohstoffen in irgendeiner Art und Weise in die Regularien mit aufgenommen werden."

Götz Steinl, Cambas Bavaria

Wie der "Spiegel" berichtete, denkt inzwischen auch der Brauerbund über eine Neuregelung des Braurechts nach. Spruchreif ist noch nichts - die Reform kommt, wenn überhaupt, nach der Geburtstagsfeier.


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Kommentieren

Werner Schlagbauer , Samstag, 23.April 2016, 23:03 Uhr

17. Reinheitsgebot

Die Zutatenliste auf dem Etikett ist doch recht kurz, bei anderen Lebensmittel steht oft mehr drauf, obwohl da auch nix damit anfangen kann .So bleibt mer Platz für Brauereiwebung

Romy, Samstag, 23.April 2016, 08:13 Uhr

16. Reinheits"gebot" ist ein Verbot

Das sogenannte Reinheitsgebot sollte auch wirklich ein Gebot sein, es ist aber ein Verbot. Mal abgesehen von den historischen Hintergründen, die dazu geführt haben (Kontrolle über die privaten heimischen Bierbrauer, Hopfen zur Dämpfung der Sexualität), ist das heutige herkömmliche Bier nicht rein. Man denke an Glyphosat, andere Pestizidrückstände, Hopfenpellets statt echtem Hopfen usw. Hefe gab es vor 500 Jahren nicht. Das ist doch typisch vor allem für Bayern, dass da wieder an vermeintlichen Traditionen festgehalten wird, anstatt auf die Wünsche der Menschen einzugehen, die längst Spaß gefunden haben an anderen Bieren, Craft-Bieren.

  • Antwort von Werner Schlagbauer , Samstag, 23.April, 22:35 Uhr

    Werden Hopfenpellets aus Sägespänen gepresst? Man kann doch zum brauen verwenden was man will, dann muss man halt nicht unbedingt Bier aufs Etikett schreiben

  • Antwort von Werner Schlagbauer , Samstag, 23.April, 23:10 Uhr

    Hefe gab's auch schon vor 500 Jahren, man kannte sie nur nicht

Siegfried Munin, Mittwoch, 13.April 2016, 10:25 Uhr

15.

Der Autor schreibt in seinem Artikel, dass Bier und bierähnliche Produkte samt ihrer Rohstoffe 2014 bei der Lebensmittelüberwachung eine Beanstandungsquote von 13,3 Prozent aufgewiesen hätte.
Ein richtiger Journalist würde wahrscheinlich die Gründe für diese Beanstandungen recherchieren und feststellen, dass fast alle auf falsche Kennzeichnung oder Verstöße gegen die Füllmengen zurückgingen. Gerade im Dschungel der EU-Kennzeichnungsverordnungen passiert so etwas relativ häufig, vor allem bei sehr kleinen Brauereien.
Die Beanstandungen haben aber an sich überhaupt nichts mit den Zutaten oder dem Bier an sich zu tun.

Otto, Mittwoch, 13.April 2016, 09:57 Uhr

14. Bio Bier

Ich trinke nur noch Bio Bier, das Glyphosat Bier kann dann Landwirtschaftsminister C. Schmidt(nach seinen Aussagen) selbst trinken.

  • Antwort von J Schies, Mittwoch, 13.April, 13:02 Uhr

    Glückwunsch zu dieser Entscheidung. Auch in Bio-Bieren sind oft Spuren von Glyphosat enthalten - wie ein heute veröffentlichter Test in der Schweiz zeigt. Glyphosat ist in SPUREN ja auch in Milch, Brot, Müsli....

  • Antwort von Ines, Mittwoch, 13.April, 17:36 Uhr

    Spuren können überall enthalten sein! In Bio ist aber massiv weniger Glyphosat drin! Die Menge machts!
    Natürlich wird Bio auch oft schlecht geredet>>>wem nützt das? Mal nachdenken, wahrscheinlich denen die es weiter verwenden wollen.
    Bio ist kein Allheilmittel aber auf jedenfall besser und oft nicht mal viel teuerer.

  • Antwort von kbA, Mittwoch, 13.April, 19:55 Uhr

    Und Glyphosat und der andere Dreck werden beim ökologischen Landbau eben nicht eingesetzt.

Francesco, Mittwoch, 13.April 2016, 09:19 Uhr

13. Bier-Paradies...

Mir ist es wirklich egal, welche Biere wie gebraut werden. Ich habe als Landbewohner das Glück, dass mein Nachbar selbst ein super Bier(e) braut und 6 km weg eine uralt eingesessene Weißbier-Brauerei meinen Durst löscht. Damit ist mein Qualitätsanspruch erfüllt. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass der Markt bzw. der Wettbewerb das Thema regeln soll. Allerdings geht mir in der Bevölkerung - nicht nur beim Bier - seit langem das Gespür für Qualität ab. Hauptsache billig... !! Erst wenn wir den Boden mit Gift verseucht haben und der letzte (Alm-) Bauer aufgegeben hat, werden wir erkennen, dass sich Naturlandschaft, Almen, etc. nicht alleine pflegen. Ich könnte mir vorstellen, dass ich das Biertrinken lieber einstellen würde, als "Giftbier" zu trinken. PROST !!