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Schlacht von Verdun 300 Tage in der Hölle

Verdun ist eine Entscheidungsschlacht ohne Entscheidung. Hundertausende sterben, danach sieht die Frontlinie beinahe aus wie zuvor. Entscheidend verändert hat das mythische Zentralereignis des Ersten Weltkriegs die Vorstellung von Krieg und den unbedingten Glauben an die Segnungen der Technik.

Von: Michael Kubitza

Stand: 07.07.2016 | Archiv

Französische Abteilung für Aufräumarbeiten in den Ruinen von Bezonvaux nördlich von Verdun während des Ersten Weltkrieges. | Bild: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo

1914 war das Jahr, in dem in Europa die Kriegseuphorie ausbrach. 1915 folgte die große Ent-Täuschung, die multiple, ergebnislose Kriegsführung an immer mehr Fronten mit allen möglichen Waffen: Pferd und Eisenbahngeschütz, Luftschiff und U-Boot, Giftgas und Bajonett. 1916 geht als das Jahr der blutigen Erstarrung in die Geschichte ein, in dem die Hölle einen neuen Namen bekommt: Verdun.

Verdun 1916

Der alte Bischofssitz mit seinen nicht mal 20.000 Einwohnern ist für die Strategen uninteressant. Es geht ihnen um den Höhenzug rechts der Maas und die vorgelagerte Festung mit ihrem doppelten Gürtel aus 39 Forts. Es ist die stärkste Frankreichs, die das Land sich unter keinen Umständen nehmen lassen will.


Deutschland sucht die Entscheidungsschlacht - ungefähr so, wie 50 Jahre zuvor der Sieg der Preußen über Österreich bei Königgrätz die Weichen für Deutschlands Zukunft gestellt hat. Generalstabschef Erich von Falkenhayn setzt darauf, die Franzosen "ausbluten" zu lassen - im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Der preußische Kronprinz Wilhelm will einfach nur Bewegung in die festgefahrene Sache bringen. Beides scheitert grandios.

"Wie müssen mehr Feinde töten, als sie von unseren Männern töten können."

Joseph Joffre, Befehlshaber der französischen Armee

Am 21 Februar eröffnet die OHL das große Schlachten. Am 11. Juli scheitert mit dem Angriff auf Fort Souville die letzte deutsche Großoffensive - es ist der Wendepunkt. Bis zum September sind allein aus dem 1. Bayerischen Armee-Korps über 15.000 Soldaten gefallen. Am 16. Dezember haben die Franzosen das Rad des Krieges auf Null zurückgedreht.

Wassermühle und Blutmühle

Ausgefeilte Logistik vor allem ist es, die die deutschen Plänen zunichte macht: die Noria, eine Erfindung des Generals Philippe Pétain. Zuvor war Verdun über eine Bahnstrecke versorgt worden, die die Deutschen unter Feuer hielten. Pétain organisiert Lastwagenkolonnen, die in genau festgesetztem Rhythmus Nachschub an Mensch und Material ins Kriegsgebiet bringen und erschöpfte und verwundete Soldaten hinter die Front holen.

Ironie der Geschichte: Die besterhaltenen historischen Norias drehen sich heute im syrischen Hama - sofern sie nicht im Krieg zerstört wurden.

Das Rotationssystem der Noria - der Begriff bezeichnet ursprünglich ein Wasserschöpfrad - führt dazu, das zwei Drittel aller französischen Kriegsteilnehmer zeitweise in Verdun kämpfen. Während Falkenhayn die abfahrenden Lastwagen als Beleg für das Funktionieren seiner "Blutpumpe" betrachtet, sorgt das Schöpfrad tatsächlich für stetig frische Blutzufuhr.


Nicht das einzige Missverständnis um Verdun. Die Zahl der Toten ist ungewöhnlich umstritten; Angaben reichen von hunderttausend bis 1,5 Millionen. 1979 überrascht der Historiker German Werth die Fachwelt mit der akribisch belegten These, die von der deutschen Propaganda zur Heldenschlacht verklärte Eroberung des Forts Douaumont sei vor allem deshalb gelungen, weil die Franzosen den Stützpunkt bereits aufgegeben hätten.

Die Soldaten in den Schützengräben wissen von all dem meist so wenig, wie wir heute uns in ihre Lage versetzen können.

Galerie: Ansichten eines Schlachtfelds

"Das Schlachthaus der Welt"

Verdun werde als Schlachthaus der Welt in die Geschichte eingehen, notiert ein amerikanischer Sanitätsfahrer, der 1917 an den Kriegsschauplatz kommt. Niemals sonst starben mehr Soldaten auf derart engem Raum. Dabei ist die längste Schlacht es Krieges weder die verlustreichste noch die miltärisch bedeutsamste. Im Juli beginnen die Kämpfe an der Somme, über die die OHL sogleich mitteilen lässt:

"Die Schlacht an der Somme stellte selbst gegen die Kämpfe bei Verdun noch eine Steigerung des Einsatzes an Menschen und Munition dar. Sie bildete den Höhepunkt der Kraftentfaltung unserer Feinde und der ganzen bisherigen Kriegsgeschichte."

Bekanntmachung der Heeresleitung vom 4. Juli 1916

Verdun aber ist ein Mythos. Für beide Seiten - wenngleich mit gegensätzlichem Gehalt. In den Geschichtserzählungen Frankreichs markiert Verdun den Wendepunkt zum Guten und dient als Beleg für den Sinn aufopferungsvollen Widerstands - nicht ohne Ironie angesichts der Tatsache, dass Philippe Pétain, der "Held von Verdun", schon im Sommer aus dem Kampfgebiet wegbefördert wird und 1940 als Regierungschef des Regimes von Vichy mit den Deutschen kollaboriert.

In Deutschland verändert die Absurdität einer Entscheidungsschlacht ohne Entscheidung die Sicht auf den Krieg schlechthin: Nicht mehr rational kalkulierbare "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" (Carl von Clausewitz), sondern individuelle, existenzielle Erfahrung, die Ernst Jünger zum "inneren Erlebnis" verklärt. Es ist ein Erlebnis ganz neuen Typs.

Stillstand im Getöse: Was Verdun von früheren Schlachten unterscheidet

Von einer MG-Salve getroffener französischer Leutnant

Wehrtechnisch gesehen ist Verdun ein Stellungskrieg in einem nach neuestem Stand der Technik befestigtem Gelände, in dem der Einsatz modernster Artillerie die Entscheidung bringen soll - schwere Mörser, Flammenwerfer. Maschinengewehre, Spreng- und Giftgasgranaten.

Für die Soldaten bedeutet das: Monatelange klaustrophobische Nähe zu Fremden im Stacheldrahltverhau. Die ins scheinbar Endlose gedehnte Todesangst vor dem feindlichen Überraschungsangriff, die entweder nervliche Zerrüttung oder brutale Abstumpfung nach sich zieht. Die quasi synästetische Überforderung der Sinne im Trommelfeuer - andauerndes Blitzen und Donnern, verbunden mit scharfem Pulver-, Gas- und Alkaligeruch. Verweste Körperteile und Leichen, die, vom Luftdruck der Bomben emporgeschleudert, zehn Meter hoch im Geäst entlaubter Bäume hängen. Das Trauma des Verschüttetwerdens unter den Erdmassen einer Kraterlandschaft. Die irre Alternative, in einem knietief überfluteten Graben Durst zu leiden - oder aus Regenlachen zu trinken, in denen zwischen Pferdekadavern die zerschossenen Kameraden verbluten.

"Fest steht: Zwischen dem Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts und dem Ausklang einer Ära totaler Völkerkriege stand die Erniedrigung des Menschen zum bloßen 'Material'. In solchem Licht betrachtet erscheint Verdun als Inbegriff der Enthegung militärischer Gewalt."

Olaf Jessen, Historiker

"Verdun ist ein Schlüsselmoment der Geschichte, der erstmals deutlich macht, dass die Schöpfungen der Aufklärung, ihre Technologien, sich gegen den Menschen wenden können. Unsere Forschrittsskepsis hat da angefangen"

Philipp Blom, Historiker

Zum Weiterlesen:

  • Olaf Jessen, Verdun 1916. Urschlacht des Jahrhunderts, München 2014
  • Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs, München 2014
  • Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918. Rowohlt Verlag, Reinbek 2013
  • Matti Münch, Verdun. Mythos und Alltag einer Schlacht, München 2005
  • Wolf-Rüdiger Osburg (Hrsg.), "Und plötzlich bist du mitten im Krieg..." Zeitzeugen des Ersten Weltkriegs erinnern sich. Aschendorff Verlag Münster, 2000. ...
  • Bernd Ulrich und Benjamin Ziemann (Hrsg.), Frontalltag im Ersten Weltkrieg. Ein historisches Lesebuch. Essen 2008
  • German Werth, "Verdun". Bergisch Gladbach, 1979

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