Die Wittelsbacher im Weltkrieg Von der Parade zur Revolution
Es ist der Krieg der Kaiser - Franz Joseph I. und Wilhelm II. Die Wittelsbacher? Machen auch mit. Doch der König verfolgt eigene Ziele. An der Front führt der latente Konflikt zwischen Bayern und Preußen zu bizarren Situationen.
Soldaten. Überall Soldaten. Schon vor dem Krieg. Im langen Frieden der Jahre 1871 bis 1914 sind Uniformen im Straßenbild deutscher Städte so alltäglich wie heute Autos. Auch in Bayern, wo man stolz ist, bei der Reichsgründung seine "Wehrhoheit" verteidigt zu haben. Die freilich gilt nur, solange es nicht ernst wird.
Im Sommer 1914 sind besonders viele Soldaten unterwegs. Allerorten sind Jahrhundertfeiern zu begehen. Das Infanterie-Leibregiment paradiert, die Landwehr marschiert durch München und Nürnberg. In Neu-Ulm belagern am 28. Juni 12.000 Ehemalige des 12. Infanterieregiments die Lokale.
Am gleichen Tag wird König Ludwig III. in Würzburg mit militärischen Ehren empfangen, um die hundertjährige Zugehörigkeit der Unterfranken zu Bayern zu feiern. Da setzt eine Eilmeldung der Zeremonie ein jähes Ende: In Sarajewo hat ein serbischer Attentäter den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand ermordet. Was daraus werden kann, ist jedem klar.
Der König ist nicht zuhause
Merkwürdig: Inmitten des Säbelrasselns hält der Oberbefehlshaber der Truppen sich politisch zurück. In der Sitzung des Ministerrats am 15. Juli ist die Lage auf dem Balkan kein Thema. Und als der Württembergische Gesandte Karl von Weizsäcker anregt, den Bundesratsausschuß einzuberufen, um eine gemeinsame Position der kleineren Bundesstaaten zu finden, winkt man in München müde ab.Statt mit militärischen Dingen beschäftigt sich Ludwig III. lieber mit Ökonomie und Landwirtschaft - den "Millibauern" nennen sie ihn deshalb.
Franz Josef "appelliert an die Gewalt der Waffen": Die in französischer Sprache abgefasste Kriegserklärung übersetzt in der Wiener Zeitung.
Als der österreichische Kaiser Serbien am 28. Juli den Krieg erklärt, ist der König nicht in München, sondern auf seinem Mustergut Leutstetten. Ebenso am 1. August, als Wilhelm II. in Berlin die Mobilmachung befiehlt und sich in der Landeshauptstadt eine begeisterte Menge vor dem Wittelsbacher Palais versammelt, um den König zu sehen. Das heißt nicht, dass es Ludwig egal wäre, was Berlin beschließt.
"Wenn mir aus Berlin Nachrichten als streng vertraulich mitgeteilt werden, so habe ich sie gewöhnlich schon drei Tage vorher in der Zeitung gelesen; das geht nicht an und ist ungehörig .... ein König von Bayern hat das volle Anrecht darauf, über alles informiert zu werden."
Ludwig III. (zitiert nach März)
Informiert - nicht gefragt. Als am 4. August das Leibregiment des Königs stellvertretend für das ganze bayerische Heer unter großem Hallo der Bevölkerung für Ludwig an die Front zieht, hat der ihm nicht mehr viel zu sagen: Seit zwei Tagen ist laut Reichsverfassung der deutsche Kaiser oberster Kriegsherr. Wenn der bayerische König an die Front reist - und das tut er in den nächsten Jahren häufig - , dann vor allem, um die Truppen zu besuchen, wovon er unzählige Fotopostkarten anfertigen lässt.
Das Haus Wittelsbach als kriegswichtiger Familienbetrieb
"Im Reiche außer Bayern verhängte den Kriegszustand Kaiser Wilhelm, hier aber Papa"
Tagebucheintrag von Prinzessin Wiltrud, zitiert nach März
Das Königshaus praktiziert in diesen Jahren geschickt Arbeitsteilung. Der König gibt den treusorgenden Landesvater und Hüter der Tradition, der im Mai 1916 das schnell populäre Fest der Patrona Bavariae ins Leben ruft. Seine österreichische Gattin Marie Therese organisiert die "Heimatfront", lässt Bayerns Frauen Soldatenunterwäsche nähen und "Hilfspackerl" ins Feld schicken; sie selbst entsendet ihre drei Töchter als Rotkreuzschwestern ins Lazarett. Zur Goldenen Hochzeit Anfang 1918 spendet das Königspaar mehrere Millionen Mark für karitative Zwecke. Dass das Haus Wittelsbach auch kriegsstrategisch eine Rolle spielt, verdankt Ludwig seinem Bruder und seinem Sohn.
Wittelsbacher im Krieg: Rupprecht und Leopold
Kronprinz Rupprecht
Was die Kriegsoptimisten sich erträumt haben - einen "Sieg nach sechs Wochen" - der letzte bayerische Kronprinz scheint nahe dran. Ohne Weisungen von oben entscheidet der Oberbefehlshaber der 5. Armee am 21. August 1914 bei Lothringen die erste große Schlacht des Krieges für sich und wird danach als "Sieger von Metz" nicht nur in Bayern zum Nationalhelden. Fürth läutet für ihn die Rathausglocken, Neuburg an der Donau errichtet ein Denkmal, in das jeder gegen eine Spende einen Nagel schlagen darf.
Politisch fehlt dem Militärstrategen die Weitsicht. Von Anfang an ist er glühender Anhänger des Schlieffen-Plans, demzufolge das neutrale Belgien völkerrechtswidrig überrannt werden muss, um Frankreich schneller niederzuschlagen. Als danach unvermeidlich die Garantiemacht Großbritannien in den Krieg eintritt, rät Rupprecht "erst noch den Engländern den Todesstoß zu versetzen, bevor man sich gegen die Franzosen wandte." Immerhin erkennt Rupprecht ab 1917 die drohende Niederlage: "Wir haben bis jetzt alle unsere Gegner der Reihe nach unterschätzt und tun dies nun auch mit den Amerikanern."
Prinz Leopold von Bayern
Kurz vor dem Attentat von Sarajewo besucht Ludwigs Bruder Leopold in Ischl seinen Schwiegervater, den österreichischen Kaiser Franz Joseph, und sieht dort "Gewitterwolken am Balkan" - so ein Tagebucheintrag. Kaum ein Jahr später ist der bald 70-jährige pensionierte Militär an der Ostfront.
Am 5. August 1915 zieht er mit der 9. Armee kampflos in Warschau ein - für die Kriegsbefürworter daheim ein weiterer Triumph bayerischer Kriegskunst. Im Sommer 1916 übernimmt er die Stellung Hindenburgs und führt als "Oberbefehlshaber Ost" Truppen von der Ostsee bis zu den Karpaten. Dass der Krieg verloren gehen könnte, ahnt er früh, will es aber nicht wahrhaben: "Es wäre überhaupt nicht auszudenken, was dann geschehen würde." Mit dem Sonderfrieden von Brest-Litowsk im März 1918 organisiert er den schwierigen Rückzug der deutschen Truppen.
Bayern und Preußen im Krieg: Wer ist hier der Feind?
In doppelter Hinsicht fatal wirken sich die seit 1870 ungelösten bayerisch-preußischen Spannungen aus. Daheim sorgen die Zwangsexporte bayerischer Nahrungsmittel in den Norden für böses Blut. An der Front führen unterschiedliche Verpflegung und Militärtradition zu Konflikten.
"(Unser Munitionsoffizier) war der Vater vom Franz Josef Strauß. (...) Zu Weihnachten habe ich ihm eine von unseren schwarz-weiß-roten Tabakspfeifen geben wollen. Er hat sie nicht angenommen. Er hat nur eine weiß-blaue gehabt. Daran können sie sehen, welche Aversion die Bayern gegen uns hatten. (...) Die Bayern waren sehr rohe Menschen. Aber sie sind gut verpflegt worden."
Kriegserinnerung von F.Kl., zitiert nach Osburg
"So eine Trennung wie zwischen Bayern und Preußen habe ich nie wieder erlebt. Die Kantinen zum Beispiel. Wenn man einen bayerischen Freund hatte, konnte man ihm etwas Geld geben und sich was besorgen lassen, etwa eine Stange Kekse. Der Keks schmeckte buchstäblich nach Seife, aber die Bayern hatten immerhin was, auch Zigaretten extra, und wir nicht."
Kriegserinnerung von E.E., zitiert nach Osburg
Ein anderer Preuße berichtet, dass er sich im bayerischen Lazarett als Thüringer ausgeben muss, um behandelt zu werden. 1918 kursieren unter bayerischen Soldaten Parolen, sich vom Reich loszusagen und auf eigene Rechnung einen Verständigungsfrieden auszuhandeln.
"Mit welchen Mitteln die Engländer arbeiten, um Zwietracht zu säen, beweist ein bei der 5. bayer. Infanterie Division von einem englischen Flieger abgeworfener Zettel, auf dem gedruckt stand: ‚Wir begrüßen euch Bayern, für die Preußen ist es hier zu heiß.‘"
Kronprinz Rupprecht in seinem Kriegstagebuch
Bayerns belgischer Sündenfall
Doch das bayerische Bild von den preußischen Kriegstreibern führt in die Irre. Nicht zuletzt ist es Ludwig III., der aus Furcht, Territorialgewinne für Preußen könnten das Ungleichgewicht zwischen den Stämmen verstärken, auf massive Annexionen dringt. Wie wenig das Denken des Monarchen in seine Zeit passt, zeigt seine Forderung, Belgien als Kriegsbeute einzukassieren. Am 6. Juni 1915 fordert er vor dem Bayerischen Kanalverein in Fürth einen bayerischen Zugang vom Rhein zum Meer, womit er den Reichskanzler gegen sich aufbringt.
Das Elsaß soll bayerisch werden, Belgien "verschwinden". Völkerrechtlich ist der Plan abwegig - greift aber eine Idee von Ludwigs Mannheimer Urahn Karl Theodor auf, mit dem die pfälzische Linie der Wittelsbacher auf den Münchner Thron gelangte. Der liebäugelte 1785 mit dem Gedanken, zur Arrondierung seiner rheinischen Provinzen das damals habsburgische Belgien zu erwerben - und im Gegenzug Bayern an Österreich abzutreten.
Ein Ende mit Schrecken
Paradiert wird da schon lang nicht mehr. Der Krieg steckt fest in Blut und Dreck. Am 31. Januar 1918 demonstrieren 8.000 Kriegsgegner auf der Münchner Theresienwiese. Im Sommer machen die Frauen ihrer Wut Luft und veranstalten Hungerdemonstrationen auf dem Marienplatz.
München 1918/1919: Auf den beinahe friedlichen Umsturz folgt mit roter und weißer Revolution eine Zeit der Gewalt.
Am 7. November ruft Kurt Eisner den Freistaat aus. Einer Anekdote nach warnt ein Passant den im Englischen Garten flanierenden König mit den Worten "Majestät gengan's hoam, Revolution is!" Die Flucht an den Chiemsee erfolgt so überstürzt, dass der König seine Leibwäsche vergisst, die ihm die Revolutionäre später nachsenden.
198.779 der insgesamt 910.000 bayerischen Soldaten haben zu diesem Zeitpunkt ihr Leben verloren - und die seit 738 Jahren in Bayern regierende Dynastie der Wittelsbacher ihre Macht.