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John Demjanjuk Ein historisches Urteil

Mit der gegen Demjanjuk verhängten Haftstrafe hat das Landgericht München Justizgeschichte geschrieben. 2011 wurde erstmals ein nichtdeutscher Wachmann eines NS-Todeslagers verurteilt - und das zudem ohne konkreten Tatnachweis. Der Münchner Richterspruch ist aber nicht rechtskräftig, denn Verteidigung und Staatsanwaltschaft legten Revision ein. Am 17. März 2012 starb Demjanjuk.

Stand: 17.03.2012 | Archiv

John Demjanjuk nach der Urteilsverkündung am 12. Mai 2011 | Bild: picture-alliance/dpa

Das Gericht war überzeugt davon, dass der gebürtige Ukrainer 1943 als sogenannter Trawniki - ein von der SS zwangsverpflichteter Osteuropäer - 1943 ein halbes Jahr an der Ermordung von mindestens 28.060 Juden im deutschen Vernichtungslager Sobibor in Polen beteiligt war. Am 12. Mai 2011 verhängte gegen ihn das Landgericht München II eine fünfjährige Haftstrafe. Nie zuvor war in Deutschland ein Trawniki verurteilt worden.

"Teil der Vernichtungsmaschinerie"

Der Prozess

Warum in München?

Demjanjuk hielt sich vor seiner Emigration in die USA vermutlich in Feldafing am Starnberger See auf. Da das zur Landgerichtsbarkeit München gehört, übertrug der Bundesgerichtshof das Verfahren an das Landgericht München II.

Im Laufe des eineinhalb Jahre dauernden Prozesses sagten auch in Sobibor internierte Nebenkläger aus, die schilderten, wie Lager-Wächter Juden mit Gewehren in die Gaskammern trieben. Doch es fand sich kein Zeitzeuge, der den Angeklagten identifizieren konnte.

Richter Ralph Alt: "Allen Trawniki-Männern war klar, was geschah."

Der Nachweis einer konkreten Tat Demjanjuks konnte nicht erbracht werden. Das Gericht verurteilte ihn dennoch - auch ein Novum in der deutschen Justizgeschichte. Es ging davon aus, dass ein Wächter im einem Lager wie Sobibor automatisch Mordhelfer war.

"Der Angeklagte war Teil dieser Vernichtungsmaschinerie", sagte der Vorsitzende Richter Ralph Alt in der Begründung des Urteils. Jeder Trawniki habe gewusst, "dass er Teil eines eingespielten Apparates war. Allen Trawniki-Männern war klar, was geschah".

Das Verfahren

Eineinhalb Jahre - von November 2009 bis Mai 2011 - dauerte der Mammutprozess. Insgesamt gab es 93 Verhandlungstage und damit mehr als doppelt so viele wie die ursprünglich geplanten 41.

Der Feuerschein der Verbrennung der Leichen sei "kilometerweit" zu sehen gewesen, so der Richter. Alt betonte, das Gericht habe sich vom Gesetz und nicht von moralischen oder politischen Überlegungen leiten lassen.

Nach Urteil trotzdem auf freiem Fuß

Aufgrund der fehlenden Augenzeugen musste sich das Gericht auf unzählige Akten und viele Gutachten stützen. Nach dem Studium dieser Dokumente zeigte sich Alt von der Schuld des 91-Jährigen überzeugt. Der 2009 aus den USA nach München überstellte Demjanjuk hätte sogar die Höchststrafe von 15 Jahren verdient, meinte der Richter. Doch nicht zuletzt wegen des hohen Alters Demjanjuks beließ es das Gericht bei fünf Jahren.

Eines der Hauptbeweismittel: Dienstausweis

Der inzwischen Staatenlose nahm das Urteil in seinem Rollbett neben der Richterbank ohne jede Regung auf. Weil keine Fluchtgefahr bestehe, setzte Alt den Haftbefehl nach der Urteilsverkündung außer Vollzug. Demjanjuk wurde danach in einem Pflegeheim in Bad Feilnbach in Oberbayern untergebracht, in dem er am 17. März 2012 starb.

Urteil nicht rechtskräftig

Demjanjuks Anwalt Ulrich Busch hatte Freispruch gefordert. Sein Mandant sei seit 40 Jahren zum Sündenbock gemacht worden, so Busch in seinem Plädoyer. "Dieser Sündenbock soll im 91. Lebensjahr dafür bezahlen, dass Nachkriegsdeutschland die Bosse des Naziterrorismus nicht oder nicht hinreichend bestraft hat."

Jules Schelvis, einer der Nebenkläger

Zuvor hatte Busch dargelegt, dass Demjanjuk, sollte er wirklich als Wachmann in Sobibor gewesen sein, Befehlsnotstand zugute gehalten werden müsse. Die Wächter hätten keine Wahl gehabt, als die Befehle auszuführen - und es sei nicht einmal bewiesen, dass Demjanjuk überhaupt dort war.

Auch die Staatsanwaltschaft, die eine Haftstrafe von sechs Jahren verlangt hatte, leitete Schritte ein, um das Urteil zu überprüfen. Zu den Gründen für die Revision wollte sich die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Barbara Stockinger, nicht äußern.

Weil sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung Revision einlegten, wurde das Urteil gegen Demjanjuk jedoch nicht rechtskräftig, Zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs darüber kam es bis zu Demjanjuks Tod nicht. Auch nachträglich erfolgte sie nicht, weil der Tod des Angeklagten im deutschen Strafrecht ein Verfahrenshindernis ist, wodurch nur noch die Einstellung des Verfahrens zulässig ist.

Beweise aus der Oberpfalz

Entscheidend beigetragen zu dem Urteil hat die KZ-Gedenkstätte im oberpfälzischen Flossenbürg. Mit ihrer Hilfe konnte die Echtheit des Hauptbeweismittels bestätigt werden: der Demjanjuk zugeschriebene Dienstausweis aus Sobibor. Die Gedenkstätte hatte Unterlagen vorgelegt, auf denen Demjanjuk unter derselben Dienstnummer vermerkt ist: eine Transportliste, ein Dokument aus der Waffenkammer und eines mit Arbeitseinteilungen. Im KZ Flossenbürg war Demjanjuk von Oktober 1943 bis Dezember 1944 im Dienst.

Knobloch: "Zeichen für funktionierenden Rechtsstaat"

Die frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, sagte: Es ist ein "Zeichen für den funktionierenden deutschen Rechtstaat". Von München gehe die "unmissverständliche Botschaft" in die Welt, dass die Täter des Holocaust für ihre Verbrechen belangt werden.

Nach Ansicht von Jerzy Montag von der Grünen-Bundestagsfraktion ist das Urteil wichtig, "weil es deutlich macht, dass jeder, der - egal in welcher Position und in welchem Rang - an der Mordmaschine des millionenfachen Holocaust mitgewirkt hat, sich schuldig gemacht hat".

Hintergrund: Demjanjuk als Handlanger der Nazis?

Im deutschen Vernichtungslager im besetzten Polen war der gebürtige Ukrainer dem Gericht zufolge von März bis September 1943 Aufseher, ein Handlanger der Nazis für den Massenmord. Als bewaffneter Wachmann soll er geholfen haben, die mit Zügen herantransportierten Männer, Frauen und Kinder in die Gaskammern zu treiben.

Der am 3. April 1920 geborene, staatenlose Demjanjuk, der seit 1952 bis zu seiner Auslieferung im Mai 2009 mit einer Unterbrechung in den USA lebte, war laut Anklage als sogenannter Trawniki in Sobibor eingesetzt. So wurde damals eine Gruppe nichtdeutscher Schergen bezeichnet, die die SS zur Vernichtung von Lagerhäftlingen rekrutierte und in dem Ort Trawniki in einem SS-Ausbildungslager instruiert hatte.

Demjanjuk bestritt Vorwürfe

Demjanjuk, der vor seiner Auswanderung in die USA den Vornamen Iwan getragen hatte, bestritt, jemals KZ-Aufseher gewesen zu sein. Er hatte sich für ein Opfer einer Verwechslung gehalten. Seiner Version nach war er nur in deutscher Kriegsgefangenschaft.

Demjanjuk stand schon einmal von 1988 bis 1993 in Israel als mutmaßlicher NS-Kriegsverbrecher vor Gericht - jedoch nicht wegen Sobibor. Zunächst wurde er zum Tod verurteilt, am Ende aber freigesprochen.


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