Valentins Komik Absurd, grotesk, tragisch
Der Komik Valentins ein wenig auf die Schliche zu kommen, das ist das Ziel der folgenden Seiten. Zur Einstimmung zunächst ein Versuch über den Sketch "Im Schallplattenladen", der einige wesentliche Prinzipien Valentinscher Komik enthält.
König Kunde
Der Inhalt ist rasch erzählt: Valentin hält sich als Kunde in einem Plattengeschäft auf - aber ohne einen konkreten Kaufwunsch. Der Verkäufer und die Verkäuferin (Liesl Karlstadt) führen ihm vergeblich Grammofone und Schallplatten vor. Valentin verwirft einen Vorschlag nach dem anderen, die Situation eskaliert. Am Ende hat Valentin diverse Platten und Teile des Interieurs zerstört.
"Valentin: Ich krieg eine Schachtel Dritte Sorte.
Verkäufer: Ja, bei uns gibt es keine Zigaretten zu verkaufen.
Valentin: Was gibt's denn dann?
Verkäufer: Bei uns gibt es nur Schallplatten und Gramaphone.
Valentin: Dann gebn S' mir halt ein Gramaphon."
Beginn von 'Im Schallplattenladen' in der Bühnenfassung
Am Anfang steht also gleich eine Provokation - Ring frei für die Schlacht zwischen Kunde und Verkäufern. Valentin ist von Anfang an nicht am Kauf eines Artikels interessiert. Seine Wünsche sind beliebig, im weiteren Verlauf variiert er sie noch mehrmals. Dabei treibt er die Verkäufer mit absurden bis sadistischen Nachfragen zur Weißglut - wissend, dass diese in jeder Situation höflich und geduldig bleiben müssen.
Valentin karikiert nicht nur den nörgelnden Kunden, sondern exerziert eine der Verhaltensregeln der modernen Konkurrenzwirtschaft vor: Der Kunde ist König. Und Valentin nutzt seine Thronposition aus, um die Angestellten der Warenwelt nach allen Regeln der Kunst zu schikanieren. Valentin ist der "schwierige Kunde" par excellence.
Saudumm sein - oder scheinen: Ablenkungsmanöver
Noch eine Valentinsche Gemeinheit: Der Kunde deutet ein wesentliches Funktionsmerkmal in einen Produktionsfehler um: "Der hat ja ein Loch!" und zeigt auf die Schallöffnung eines Grammofons. Der Trick: Valentin stellt sich dümmer als er ist, zieht das Gespräch in die Länge und schweift unendlich ab. Er stört das Verkaufsgespräch bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Valentin bringt sein Gegenüber ständig aus der Fassung und fährt ihm unablässig in die Parade. Dabei sagt er nie etwas, was nicht stimmen würde, er quetscht nur jeden erdenklichen Aspekt aus einer Sache heraus.
Bürgerschreck
Valentin wünscht plötzlich eine Caruso-Platte. Die Verkäuferin spielt ihm eine Arie vor. Valentin moniert umgehend, dass man darauf ja nicht tanzen könne. Caruso hat er nicht zufällig gewählt: Oper gehört zur Hochkultur, über die sich Valentin permanent lustig macht. Daher straft er auch potenzielle Käufer von Caruso-Platten ab: Mit fratzenhaften Grimassen scheucht er sie aus dem Laden.
Wortklaubereien: Das Umkehrprinzip
Aber das war erst das Vorspiel. Nun beginnt die Zerstörungsorgie. Die Verkäuferin reicht Valentin eine (damals moderne) biegsame, unzerbrechliche Platten. Valentin - von Grund auf skeptisch allem Neuen gegenüber - macht den Elastizitätstest auch bei den normalen Platten, die ihn natürlich nicht bestehen.
Die Verkäuferin verliert die Fassung: "Ja, was machen S' denn da? Sie haben mir da drei Platten zerbrochen!" Valentin - weit davon entfernt - eine Schuld einzugestehen, kontert mit einer Korrektur: "Vier!" Kurze Zeit später setzt er sich auf einen Stuhl und zerbricht dadurch wieder eine Platte. Die Verkäuferin rast: "Um Gottes Willen, jetzt haben Sie mir schon wieder eine Platte zerschlagen." Valentin hat auch dieses Mal kein schlechtes Gewissen und verbessert: "Was heißt 'zerschlagen'! Zersetzt hab ich sie!"
An dieser kleinen Szene wird eine weitere Methode Valentinscher Komik deutlich. Wirft man ihm etwas vor, nimmt er dem Gegner den Wind aus den Segeln, in dem er den Fehler sofort eingesteht. Er gibt zu, Verursacher des Schadens zu sein, kontert aber mit einem Gegenvorwurf an den Geschädigten. Der Zuschauer lacht über diesen, Valentin behält auf diese Weise die Souveränität.
Destruktion
Im Laufe des "Verkaufsgesprächs" mokiert sich Valentin über die Absurdität der Erfindung einer biegsamen Schallplatte: "So ein Glump erfinden s', aber für'n Katarrh haben s' heut noch nix." In seinem Ärger zerschlägt er mit einem Stock eine Vitrine im Geschäft. Der Entrüstung der Verkäufer entgegnet er seelenruhig: "Wie wär's mit einer biegsamen Auslagenscheibe?" Er schlägt den Feind mit dessen eigenen Waffen.
Nach dem langsamen Crescendo der anarchischen Zerstörung hat Valentin schließlich den halben Laden demoliert. Am Ende verweigert er sich dem Zweck des Warentausches und verlässt das Geschäft mit dem kostenlosen Katalog.
Hintergrund: Das Lachen über das Chaos befreit
Vermutlich wirkten Gags wie "Bitte eine Platte mit Schall" zur Entstehungszeit stärker als heute, da dieses Medium damals noch relativ neu war. Aber die scheinbare Unbeholfenheit Valentins deckt - wie später die des französischen Filmkomikers Jacques Tati - auch die Absurditäten der modernen Gesellschaft auf. Valentins Dummheit wendet sich gegen die Dummheit der Welt. Der Zuschauer lacht zunächst über den dummen August, eigentlich aber über die Welt und bedauert daher auch nicht, dass sie in einem einzigen Chaos zu Bruch gegangen ist. Die einzige Versöhnung, die Valentin zulässt, ist die komödiantische mit dem Zuschauer. Valentin ist in diesem Sinn das deutsche Pendant zu Stan Laurel und Oliver Hardy.