Militante Islamisten Überwachen? Abschieben? Deradikalisieren?
Mehr als 400 islamistische "Gefährder" leben derzeit in Deutschland. Wie soll der Staat mit ihnen umgehen? Abschieben ist unmöglich, wenn es sich um deutsche Staatsbürger handelt. Rundum-Überwachung erfordert zu viel Personal. Und Deradikalisierungsprogramme laufen meist ins Leere.
"Liebe Geschwister, wie ihr sicherlich schon erfahren habt, ist das mein Kanal", sagt Abdul W.. Der junge Mann stammt aus Bayern. Neuerdings ist er als salafistischer Prediger im Netz unterwegs. Über Facebook und den Messenger-Dienst Telegramm verbreitet er Predigten und religiöse Gesänge, sogenannte Nasheeds. In einem Lied wird die Aussicht auf 72 Jungfrauen im Paradies glorifiziert.
"Die Huris, sie rufen ihm zu. Die Huris, sie rufen ihm zu. Bei mir findest du ewige Ruh."
Gesang des Hasspredigers
Als der Bayerische Rundfunk den Prediger via Facebook um ein Interview bittet, lehnt er ab. Er macht es sogar unmöglich, dass wir ihn auf Facebook überhaupt wiederfinden. Hat er etwas zu verbergen? Einiges spricht dafür. Uns liegen Screenshots vom nichtöffentlichen Bereich seines Facebook-Zugangs vor. Im Folgenden Auszüge:
"Im Kriegszustand: Allah zerschlug im Schlachtfeld die Reihen der Ungläubigen. – Hashtag BND: Selbst meine Späße werden von den Feinden Allahs ernst genommen."
Zitatauszug aus Konversation des Hasspredigers
Wir erfahren: Der Prediger aus Bayern ist im Visier von Verfassungsschutz und Polizei. Er gilt durchaus als gefährlich, wird dem sogenannten dschihadistischen Milieu zugeordnet, also jenen, denen man eine Ausreise nach Syrien zutraut, um sich dort einer Terrormiliz anzuschließen.
Und welche Gefahr geht von diesem Prediger hier bei uns in Deutschland aus? Ist er ein potentieller Terrorist? Schwer zu sagen. Ein früherer Weggefährte befindet sich in Syrien.
Sicherheitsbehörden sind wachsam
Das Bundeskriminalamt schätzt, dass derzeit mehr als 400 Gefährder in Deutschland leben. Für eine Rundumbewachung braucht es mehr als zehn Beamte pro Person. Eine Herausforderung für die Polizei. Ein mögliches Gegenmittel: die Islamisten zur Umkehr bewegen und ihnen den Ausstieg ermöglichen. Sogenannte Deradikalisierungsprogramme werden in immer mehr Bundesländern angeboten – zum Beispiel in Hessen, Baden-Württemberg und seit Ende 2015 auch in Bayern.
Wie denkt die Salafisten-Szene über das Programm des Freistaats?
Treffen mit einem jungen Mann in Bayern. Er gilt als Dschihadist, soll zumindest versucht haben, nach Syrien zu reisen. Wenn er nicht schon dort war? Aber darüber schweigt er. Lieber spricht er über Aussteiger und warum er sie für Möchtegern-Dschihadisten hält. Jene also, die nur wegen der Kampfvideos nach Syrien gegangen sind, dann aber wieder schnell nach Hause wollen, weil sie merkten, dass Krieg kein Spiel ist.
"Die kennen sich gar nicht mit der Grundmentalität vom Islam aus. Die waren halt nur deshalb in der Szene drin wegen den Videos, weil sie diese Gemeinschaft gesucht haben. Die sind Abfall der Gesellschaft. Und dann sehen die: Ich bekomm Geld vom Staat, jetzt habe ich den Staat als Freund. Und dann verkaufen sie sich – ganz einfach."
Anonymer Salafist aus Bayern
Gezielte Gerüchte zur Verunsicherung
Wer aussteigt, bekommt automatisch Geld vom Staat? Ein Gerücht, das bewusst gestreut wird. Konkret mag der Mann an den Münchner Harun P. denken. 2013 war er Richtung Syrien ausgereist. Dann kam er zurück, wurde 2015 schließlich zu elf Jahren Haft verurteilt – wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Er gilt als geläutert, hat vor Gericht einen tiefen Einblick in die Dschihadisten-Szene gegeben. Für seine alten Weggefährten ist Harun P. ein Verräter. Nun muss er sich in einem anderen Leben zurechtfinden. Irgendwann könnte er vielleicht seinen Teil dazu beitragen, andere Menschen vor einer Radikalisierung abzuhalten.
Ist ein Ex-Salafist für ein Deradikalisierungsprogramm vorstellbar?
Der Islamwissenschaftler Guido Steinberg hält viel von der Idee, Syrien-Rückkehrer in der Präventionsarbeit einzusetzen, wenn sie denn geläutert sind.
"Weil sie für die Bewegung gelitten haben, weil sie mal bei einer Terrororganisation waren - und sagen, das ist alles Mist. Das kann präventiv wirken, weil im Moment bei vielen Jugendlichen immer noch der Eindruck vorherrscht, das ist was Cooles, das ist hip. Ich muss auch nach Syrien so wie meine Freunde. Es ist ganz wichtig, denen zu sagen, wie es dort unten wirklich zu geht."
Guido Steinberg, Islamwissenschaftler
Sozialarbeit - es fehlt an allen Enden
Aber das ist alles noch Theorie. In Bayern sieht die Realität so aus: Zwei pädagogische geschulte Mitarbeiter kümmern sich im Auftrag der Staatsregierung um gefährdete Jugendliche. Sie sind zuständig für ganz Bayern. Ein weiterer Kollege soll dazukommen. Woche für Woche legen die beiden "Deradikalisierer" hunderte Kilometer zurück – und dennoch ist dies viel zu wenig für einen Flächenstaat wie Bayern. Einer von ihnen, Korhan Erdön ist Muslim. Im Gespräch mit dem BR erklärt er seine Motivation. Er kommt aus Kempten im Allgäu, erinnert sich an die Zeit, als es noch gar keine Interventionsangebote gab.
"Wir hier in Kempten haben eine offene Salafisten-Szene, die auch bekannt ist. Unsere Urbefürchtung war, dass unsere Jugendlichen von der Moschee irgendwann zu diesen Jugendlichen Kontakt haben. Da war einfach die Fragestellung: Wer kann uns helfen? Und es war eine gähnende Leere, leider."
Korhan Erdön, Sozialarbeiter gegen Islamische Radikalisierung
Jetzt gibt es ein Programm, das rund 20 Fälle im Freistaat betreut. Sie seien alle sicherheitsrelevant. Von ihnen könnte theoretisch eine Gefahr ausgehen, teilt das Bayerische Landeskriminalamt mit. Im LKA wurde ein Kompetenzzentrum gegen Salafismus eingerichtet. Das Kompetenzzentrum koordiniert die Fälle. Und doch wurde das Programm, wie viele Initiativen in Deutschland, eilig hochgezogen. Es mangelt an Personal und Erfahrung. Außerdem fordern die Grünen im Landtag spezielle Angebote für Mädchen und Frauen.
"Weibliche Sympathisantinnen werden anders angeworben als Männer – mit vermeintlich emanzipatorischen Angeboten und die Aussicht auf Selbstverwirklichung", so die Grünen-Politikerin Katharina Schulze. Das System der Salafisten funktioniert perfekt. Mit einfachen Botschaften gelten sie als die besseren Sozialarbeiter. Sie begeistern Menschen auf der Suche nach Orientierung für die salafistische Ideologie und am Ende vielleicht auch für den Dschihad.
Zu spät für Deradikalisierungsprogramme
Dann bleiben dem Staat nur restriktive Mittel – und die wirken dennoch hilflos. Das zeigt das Beispiel eines jungen Mannes aus München mit kosovarischen Wurzeln. Dem mutmaßlichen Dschihad-Rekrutierer wurde nahelegt, Deutschland Richtung Kosovo zu verlassen. Inzwischen lebt er tatsächlich dort. Kontakt zu seinen alten Freunden in München hält er über Facebook. Eine erfolgreiche Lösung war die Ausweisung daher wohl kaum.
Ein Zeichen, dass es nach wie vor an nachhaltigen Strategien im Umgang mit Islamisten mangelt. Sechs islamistische „Gefährder“ mit Migrationshintergrund wurden laut Bayerischem Innenministerium 2015 aus dem Freistaat ausgewiesen. In diesem Jahr waren es schon drei „Gefährder“. Ein Teil davon ist in Deutschland groß geworden.
Kommentieren
ecc, Montag, 25.Juli 2016, 21:29 Uhr
15. Deradikalisieren?
Die Geschichte lehrt uns, dass es Grenzen der Deradikalisierung gibt: Hätte man KZ-Schergen deradikalisieren können? Hätte man die Stalin-Schergen deradikalisieren können?
Es gibt zur Zeit zu viele Schwätzer, die sich mit ihren Theorien wichtig tun. Nicht hinter hohlen Phrasen verstecken sondern der Bevölkerung reinen Wein einschenken, wie machtlos der Staat gegen diesen Terror ist.
Bernhard, Donnerstag, 21.Juli 2016, 12:33 Uhr
14. Wenn ich die Beiträge von
Bundeswehropa und ähnliche lese, frage ich mich, was die Damen und Herren über unsere Rechtskultur und den Rechtsvorschriften wissen.
Oder haben manche gerade Heimaturlaub aus....
albert0, Mittwoch, 20.Juli 2016, 21:15 Uhr
13. Wohin mir den militanten Islamisten?
Warum muss das Rad immer wieder neu erfunden werden? Die Amerikaner haben es uns doch gelehrt! Ich plädiere für eine Insel militärisch bewacht versteht sich!
Bundeswehropa, Mittwoch, 20.Juli 2016, 20:34 Uhr
12. Was geschieht denn mit einer katholischen Frau, die wirklich davon überzeugt ist
das ihre eigene Tochter vom Teufel besessen ist, und diese deshalb tätlich angreift?
Die kommt in die geschlossene Psychiatrie, ganz einfach!
Und wir erklären Islamisten einfach zu verwirrten Menschen und weisen diese einfach dauerhaft in die geschlossene Psychiatrie ein!
Und zwar sehr dauerhaft!
Der Vorteil: Verwirrte gefährliche Menschen kann man auch ohne Vorliegen einer konkreten Straftat dauerhaft einweisen!
Sollten wir machen!
Antwort von BR-Fan, Freitag, 22.Juli, 23:15 Uhr
@Bundeswehropa
"Verwirrte gefährliche Menschen kann man auch ohne Vorliegen einer konkreten Straftat dauerhaft einweisen!"
Eine Verwirrung ist schnell diagnostiziert.
Ein "Experte" ist schnell gefunden.
Haftung braucht man bei einer "Fehldiagnose" nicht übernehmen
Siehe Gustl Mollath
Einfach unliebsame Tatsachen anzeigen und schon bist in der Klapsmühle.
Gustl hat auch einige Jahre seines Lebens unschuldig diese "Behandlung" genossen.
Bundeswehropa, Mittwoch, 20.Juli 2016, 19:58 Uhr
11. Nach Paragraph 28 STAG kann man Doppelstaatsbürger die deutsche...
Staatsbürgerschaft entziehen, wenn dieser ohne Einverständnis der Bundeswehr, Wehrdienst für dieses andere Land leistet!
Man müsste nur die Kampffähigkeit im Ausland mit dem fremden regulären Wehrdienst gleichsetzen, und schon hätten wir sehr viele Probleme weniger!
Ich weiss es deshalb so gut, weil ich einstmals einen deutsch-finnischen Kameraden hatte, der musste(!) tatsächlich in beiden Ländern seinen Pflichtwehrdienst leisten, und jedesmal brauchte er eine Sondererlaubnis, um nicht die Staatsangehörigkeit des jeweils anderen Staates zu verlieren!