NS-Dokuzentrum eröffnet Großer Andrang am ersten Publikumstag
Das Interesse am neuen NS-Dokumentationszentrum in München ist enorm: Das Personal kam am ersten Tag gar nicht dazu, Eintrittskarten zu verteilen und die Besucher zu zählen. Die sind von der Präsentation sehr angetan.
Viele Besucher erfahren erst hier, dass der Nationalsozialismus in den Zwanziger Jahren in München entstanden ist und welche Rolle München im Dritten Reich gespielt hat. Viele sagten spontan, dass sie bald einmal wiederkommen wollten. Die Informationsfülle sei groß, aber übersichtlich präsentiert.
Eröffnung 70 Jahre nach der Befreiung Münchens
Die Eröffnung kam reichlich spät. Dafür widmet sich die Ausstellung unter anderem endlich der Frage, warum ausgerechnet München zur NS-Wiege wurde. Das NS-Dokumentationszentrum steht in der Brienner Straße - exakt an der Stelle der einstigen NSDAP-Zentrale, des sogenannten "Braunen Hauses". Das Zentrum wurde als Kontrapunkt an einem Ort errichtet, dessen gesamte Nachbarschaft gewissermaßen NS-kontaminiert ist. So diente die steinerne Antikenkulisse des Königsplatzes als militärisches Aufmarschareal.
Klare Worte von Reiter und Seehofer
Während der Eröffnung demonstrierten zehn Rechtsextreme in unmittelbarer Nähe gegen das neue NS-Dokumentationszentrum. Ihnen gegenüber standen etwa 150 Gegendemonstraten. Auf dem Festakt fand Münchens OB Dieter Reiter klare Worte.
Antisemitismus und rechtspopulistische Stimmungsmache haben seiner Ansicht nach in der bayerischen Landeshauptstadt keinen Platz. "Wenn heute hier vor der Türe einige versuchen, rechte Parolen zu verbreiten, werden wir uns davon nicht irritieren lassen", sagte Reiter in seiner Rede zur Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums in München.
"Wenn die da draußen das Dokumentationszentrum infrage stellen, geben sie uns hier und heute den besten Grund dafür, es zu eröffnen."
Münchens OB Dieter Reiter zu den Protesten Rechtsextremer gegen die Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums.
Auch Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) reagierte mit Unverständnis auf die Genehmigung der Rechtsextremen-Demo während der Eröffnung. Er sei ein "großer Anhänger der Unabhängigkeit der Gerichte" und auch der Gewaltenteilung, sagte der Regierungschef beim Festakt im Amerika-Haus unweit der neuen Erinnerungs- und Gedenkstätte. Er habe sich gewünscht, "dass die Entscheidung der Landeshauptstadt München auch von der Justiz akzeptiert wird". Die Hoffnung sei mit der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) zerstört worden.
Die Stadt überlegt nun, gegen die gerichtliche Entscheidung eine Feststellungsklage einzureichen, um für die Zukunft zu klären, ob Neonazi-Demos rund um das NS-Dokuzentrum generell verboten werden können. Die Demo selbst blieb heute in sehr kleinem Rahmen. Den 10 Neonazis standen etwa 150 Gegendemonstranten gegenüber.
Erinnerung an einem historischen Ort
Am 30. April 1945 besetzten Divisionen der 7. US-Armee München. Die "Hauptstadt der Bewegung", wie sie Hitler elf Jahre zuvor tituliert hatte, war militärisch von der NS-Herrschaft befreit. Danach verdrängte München erstmal seine Nazi-Vergangenheit jahrezehntelang - unter anderem durch Slogans wie "Weltstadt mit Herz". Erst 2001 beschloss der Stadtrat, ein Dokumentationszentrum über die braune Vergangenheit Münchens zu bauen.
Schräg gegenüber des NS-Dokumentationszentrums steht der ehemalige "Führerbau", wo 1938 das "Münchner Abkommen" unterzeichnet wurde. Hier, in der Maxvorstadt, breitete sich die NSDAP großzügig aus. Doch schon in den 1920er-Jahren war ausgerechnet aus diesem Nobelviertel Unterstützung für Hitler gekommen - etwa vom Verleger Bruckmann, vom Kunsthändler Hanfstaengl oder vom Pianofabrikanten Bechstein.
Nährboden für Hitler: München der 20er-Jahre
Das neue Museum versucht, die speziellen Bedingungen der Stadt zu beleuchten, die sie zur Keimzelle des NS-Staates werden ließen und Hitlers Aufstieg begünstigten. Dazu gehört die Rolle von prominenten Vertretern der bürgerlichen Gesellschaft ebenso wie das gesellschaftspolitische Klima Anfang der 1920er-Jahre. Damals wurde München innerhalb Deutschlands zu einem Sammelbecken reaktionärer und rassistischer Kräfte. Dem Ministerpräsidenten Gustav Ritter von Kahr schwebte eine antidemokratische "Ordnungszelle Bayern" vor. Hitler lernte im München jener Zeit Mitstreiter wie Heinrich Himmler, Rudolf Heß oder Ernst Röhm kennen.
Auch Neonazis von heute Thema
1.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche stehen insgesamt auf vier Stockwerke verteilt zur Verfügung. Neben den Vorbedingungen widmet sich das neue Museum dem München der NS-Zeit und den Verbrechen von Münchnern im Zweiten Weltkrieg sowie der schwierigen Aufarbeitung nach Kriegsende bis hin zu aktuellem Rechtsextremismus. Laut Gründungsdirektor Winfried Nerdinger wird in der Dauerausstellung kein einziges Originalstück, etwa eine Uniform, zu sehen sein, um Ästhetisierungen zu vermeiden. Nerdinger macht im Gespräch mit B5 aktuell auch klar:
"Wir sind keine Gedenkstätte. Hier setzen wir uns an diesem Täterort mit den Tätern auseinander. Jeder wird konfrontiert sein mit seiner Umwelt. Das was ich gesehen habe, kann ich nicht einfach in die Geschichte verabschieden. Türe zu und erledigt. Es geht mich was an, mich gegen Ausgrenzung und Unrecht zu wehren."
Winfried Nerdinger
"München hat sich schwerer getan als andere Städte" - Stimmen
Winfried Nerdinger
"Ganz generell kann man sagen, dass München sich schwerer getan hat als alle anderen Städte in Deutschland, weil es auch mehr mit der Geschichte behaftet war als jede andere Stadt. Hier ist alles entstanden."
Winfried Nerdinger, Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München
Dieter Reiter
"Es ist ein weiterer Beitrag, sich mit der Historie unsere Stadt auseinanderzusetzen wie wir es seit vielen, vielen Jahren tun."
Dieter Reiter (SPD), Münchens Oberbürgermeister
Es handle sich um einen "Täterort", daher gehe es in erster Linie um rationale Auseinandersetzung und um Aufklärung. Das 28,2 Millionen Euro teure Projekt wurde nach Plänen des Berliner Architektenbüros Georg Scheel Wetzel gebaut. Der schlichte weiße Kubus im Bauhaus-Stil will sich nicht selbst inszenieren, sondern soll einen bewussten Kontrapunkt zu den klobigen Bauten aus der NS-Zeit in der Nachbarschaft bilden.
Festakt zur Eröffnung
Nach der Eröffnung fand ein Festakt im Amerikahaus statt. Dabei waren unter anderem Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats deutscher Sinti und Roma. Für Publikum öffnet das Museum am 1. Mai. Man erwartet jährlich bis zu 250.000 Besucher.