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Thatcher-Effekt Oder warum wir mit Sonnenbrille besser aussehen

Warum nehmen wir Veränderungen an einem um 180 Grad gedrehten Bild eines Gesichts kaum wahr? Und wie kommt es, dass wir mit Sonnenbrille meist besser aussehen? Wir haben bei einem Experten nachgefragt, warum unser Gehirn so arbeitet.

Stand: 27.08.2024

Eine Frau mit langen braunen Haaren trägt eine Sonnenbrille und blickt auf ihr Handy | Bild: mauritius images / Cavan Images /

1980 veröffentlichte Professor Peter Thompson Bilder der ehemaligen britischen Premierministerin Margret Thatcher. Dabei veränderte er die Mund- und Augenpartie. Das war auf den ersten Blick zu sehen. Das Gesicht erscheint entstellt oder "fratzenhaft". Darunter waren noch einmal Bilder von Margret Thatcher zu sehen, beide auf dem Kopf stehend, also um 180 Grad gedreht. Diese beiden Bilder sahen unverändert aus. Doch bei genauerem Hinsehen konnte man erkennen, dass auch hier bei einem Bild Mund- und Augenpartie verändert waren. Unser Gehirn nimmt zwar hier auch kleine Veränderungen wahr, doch die Mimik scheint insgesamt eher unverändert.

Hier sehen Sie den Thatcher-Effekt am Beispiel von Barack Obama, Angelina Jolie, Harry Potter und Adele:

https://www.instagram.com/p/COB8vJGnuR_/

Gesichtserkennung wird schon früh trainiert

Professor Markus Antonius Wirtz von der Pädagogischen Hochschule Freiburg ist Wahrnehmungspsychologe und erklärt dieses verblüffende Phänomen so: Gesichter sind für uns ein sozial wahnsinnig wichtiges Informationsfeld – insbesondere, weil diese Emotionen und soziale Bindung vermitteln. Deswegen hat unser Gehirn hier eine besondere Empfindlichkeit und Leistungsfähigkeit entwickelt. Wenn wir ein Gesicht sehen, dann springen spezielle Verarbeitungsmechanismen in unserem Gehirn an. Es verfügt von Geburt an über spezialisierte Zellen und Zellverbände, die eine Tiefenverarbeitung des mimischen Ausdrucks von Gesichtern ermöglichen, erklärt Markus Antonius Wirtz. Diese Verarbeitungszentren für Gesichter befinden sich auf Höhe der Ohren im Temporallappen des Gehirns. Schon von klein auf wird unser Gehirn darauf geschult, Gesichter zu erkennen. Durch die Erfahrung im Verlauf der Entwicklung des Gehirns werden diese Zellen ständig trainiert und erreichen eine besondere Empfindlichkeit für Gesichter und deren mimischen Ausdruck. Dieses "Training" führt beispielsweise dazu, dass wir die Mimik von Gesichtern des eigenen ethnischen Umfeld besonders gut "automatisiert" verarbeiten.

Diese Neuronen springen jedoch nur an, wenn sie die typische, aufrechte Gesichtsstruktur erkennen. Dass uns ein um 180 Grad gedrehtes Gesicht begegnet, ist eher selten. "Man kann zum einen sagen, im Gehirn sind Neuronen, die wissen, Gesichter sind normalerweise aufrecht und die werden zusätzlich noch in der Interaktion mit Bezugspersonen ständig trainiert.        
In dem Fall, in dem das Gesicht verkehrtherum orientiert ist, springen diese Neuronen nicht automatisch an. Das heißt, wir haben eine weniger tiefe Informationsverarbeitung und Empfindlichkeit für den mimischen Ausdruck
", so Professor Markus Antonius Wirtz weiter.

Unser Experte erklärt, wenn wir Gesichter sehen, die nicht unserem "Trainingsmaterial" entsprechen, die also zum Beispiel auf dem Kopf stehen, dann nehmen wir die Details nicht mehr so scharf wahr und haben eine bestimmte Erwartung an das Gesicht. Er sagt: "...wenn ich es nicht richtig sehe, dann denke ich eher, das wird schon ein 'normales' Gesicht sein und dadurch sehe ich bestimmte Details in Richtung meiner Erwartung. Und das ist genau dann der Fall, wenn uns das Gesicht auf dem Kopf herum entgegenkommt.. Menschen, bei denen aufgrund eines Schlaganfalls die 'Gesichterneuronen' ausgefallen sind, können zwar Gesichter sehen und im Detail beschrieben, aber sie können das Gesicht und dessen mimischen Ausdruck nicht mehr erkennen. Ein freundliches Gesicht sieht für diese Menschen zwar in Details anders aus, als ein wütendes Gesicht – sie können den qualitativ anderen mimischen Ausdruck jedoch nicht wirklich erkennen bzw. sehen. Ähnlich geht es uns im Falle des 180 Grad gedrehten Gesichts, obwohl wir alles Wichtige vor Augen haben, fehlt uns die Tiefenverarbeitung der Gesichterneuronen. Mit dieser Unsicherheit geht das Gehirn so um, dass es Details ignoriert und den Wahrnehmungseindruck in Richtung eines 'normalen' Gesichts korrigiert."  

Warum sehen wir mit Sonnenbrille besser aus?

Der Experte erläutert das Phänomen des "automtischen Korrigierens" an einem anschaulicheren Beispiel, das Sie sicher kennen. Mit Sonnenbrille sieht man oftmals besser aus. Das liege an einem ähnlichen Phänomen, erklärt Markus Antonius Wirtz. Da die Augen verdeckt sind, ergänzt unser Gehirn in Richtung einer idealisierten Erwartung tendenziell ideale Augen hinter der Sonnenbrille. "Wir sehen das Gesicht und sehen sozusagen implizit ein Gesicht, das ideale oder schöne Augen hat, weil wir das eher erwarten würden." Wenn dann die Brille abgenommen wird, dann ist das Gesicht in der Regel nicht mehr so attraktiv, weil die Augen nicht so ideal sind, wie unser Gehirn sie projiziert hat. Das heißt aber auch, wir sind uns gar nicht bewusst, dass wir Dinge integriert ergänzen, wenn wir eine Unsicherheit haben, so Wirtz.

Wenn man zum Beispiel in den Spiegel blickt, dann kann man vielleicht Fältchen oder ähnliches in der eigenen Augenpartie nicht ignorieren. Unter der Sonnenbrille sieht man das nicht mehr und in diesem Moment ergänzt unser Gehirn das Gesicht dann in einem idealen Sinn.
Dies ist genau der selbe Effekt, der auch dafür verantwortlich ist, dass wir bei einem verkehrtherum stehenden Porträt nicht erkennen, dass Mund und Augen ja 'verdreht' sind – das ist die so genannte Thatcher-Täuschung. Unser Gehirn verarbeitet nicht alle Details und ergänzt einfach das Ideale oder das aus seiner Sicht Richtige.

Neurologe und Buchautor Volker Busch erklärt in dieser Episode der Blauen Couch, warum wir unser Gehirn vor der ständigen Nachrichten-Berieselung schützen müssen. Hören Sie gerne mal rein:

https://www.ardaudiothek.de/episode/blaue-couch/volker-busch-arzt-zuversicht-hilft-menschen-in-krisen-mehr-als-die-hoffnung/bayern-1/13265943/



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