Verspätung Warum manche Menschen immer unpünktlich sind
Es gibt Menschen, die kommen immer zu spät – was das über diese Menschen aussagt, ob man sich das abtrainieren kann und ob man Pünktlichkeit überhaupt lernen sollte, weiß Zeitforscher Marc Wittmann.
Warum sind manche Menschen pünktlich und andere verspäten sich jedes Mal?
"Fangen wir mal an mit den Menschen, die unpünktlich sind: Das sind Menschen, die gar nicht so sehr auf die Zeit achten, sondern aber – und das ist eigentlich das Schöne, Positive – mehr im Hier und Jetzt sind und das, was sie tun, intensiver tun. Dabei vergessen sie die Zeit", so Marc Wittmann, Zeitforscher und Psychologe am Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psycho-Hygiene in Freiburg.
Menschen hingegen, die besonders pünktlich sind, achten besonders stark auf die Uhr, weil sie sich in einem zeitlichen Korsett bewegen, immer pünktlich sein wollen, um nichts zu verpassen. "Dann aber verlieren sie etwas von ihrer Erlebenszeit", sagt Marc Wittmann. Denn lässt man sich auf eine Sache, eine Situation oder Tätigkeit, wirklich ein, vergisst man darüber oftmals die Zeit.
Wir haben alle ein unterschiedliches Zeitempfinden
In der Forschung wurden tatsächlich Unterschiede festgestellt im Bereich des sogenannten "prospektiven Gedächtnisses". Das ist der Teil in unserem Gedächtnis, der uns dabei hilft, Vorhaben in der Zukunft umzusetzen. "Prospektives Gedächtnis bedeutet: Ich gebe den Auftrag, Sie sollen in zehn Minuten etwas Bestimmtes machen. Oder die Person sagt zu sich selbst, ich muss jetzt in zehn Minuten etwas Bestimmtes tun", erklärt Marc Wittmann. Diejenigen, die das in zehn Minuten noch wissen, haben ein gutes prospektives Gedächtnis. Man hat festgestellt, dass jene Personen, die das besonders gut können, auch diejenigen sind, die sehr uhrzeitorientiert leben. Die Menschen, die das vielleicht verschlafen oder vergessen, das sind eher die ereigniszeitorientierten Menschen. "Das kann man auch im Labor testen, dass es diese Unterschiede gibt", so Marc Wittmann.
Der Vorteil am erlebnisorientieren Leben
"Die Leute, die so ein bisschen die Uhrzeit vergessen, sind diejenigen, die intensiver leben, die mehr in den Dingen sind, die sie tun, und mehr rausziehen. Sie haben rückblickend eine stärkere, intensivere Lebenszeit", erklärt Marc Wittmann.
Ist Unpünktlichkeit dennoch nicht einfach nur unhöflich?
"Es kommt immer darauf an. Also ich bin sicher, wenn jemand einen ganz wichtigen Termin bei seinem Chef hat, bei dem es um eine Gehaltserhöhung geht, wird auch ein erlebnisvoller Mensch, der sonst zu spät kommt, sehr pünktlich sein. Weil es dann doch sehr, sehr wichtig ist, er sehr fokussiert ist und den Druck spürt", so der Psychologe. Auf der anderen Seite könne man auch sagen, Chefs und Chefinnen können es sich zum Beispiel auch mal leisten, unpünktlich zu sein. "Der Chef hat seinen Termin, muss dann aber doch noch irgendwo schnell telefonieren und kommt zu spät. Das hat auch etwas mit Machtstruktur zu tun, in der wir eingeordnet sind in unserem Berufsalltag", sagt Marc Wittmann. Im Privaten hingegen hat Pünktlichkeit etwas mit Wertschätzung gegenüber dem Anderen zu tun und auch mit Toleranz. Da kann man über eine Viertelstunde Verspätung vielleicht auch mal hinwegsehen.
Kann man Pünktlichkeit lernen?
"Man kann immer alles lernen, das ist ganz klar. Und dann ist immer die Frage, wie wichtig das einem ist", sagt Marc Wittmann.
Tatsächlich ist es so: Menschen orientieren sich oft an anderen Menschen, an der eigenen Gruppe. "Wir sind alle sehr konformistisch. Das heißt, die Leute suchen einander oder sie passen sich auch ein bisschen an. Wenn ich in einer Gruppe von pünktlichen Menschen bin, werde ich selber auch pünktlicher, wenn ich in einer Gruppe von unpünktlichen Menschen bin, dann werde ich tendenziell auch eher unpünktlich." Das zeige aber auch, dass man sich durchaus an anderen Menschen orientiert und damit auch, dass man Pünktlichkeit lernen kann.
Und hier hören Sie in unserem "Blaue-Couch"-Podcast: Christine Thürmer, Weitwanderin, über den Wert von Zeit:
https://www.ardaudiothek.de/episode/blaue-couch/christine-thuermer-weitwanderin-ueber-den-wert-von-zeit/bayern-1/12439079/