Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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1. Februar 424 v. Chr. Aristophanes führt "Die Ritter" auf

Als die alten Athener die Demokratie erfanden, durfte noch jeder über alles abstimmen. Toll! Trotzdem hatten auch die Athener Politiker. Wie die waren, zeigt Aristophanes' Komödie "Die Ritter", die zwischen Ende Januar und Anfang Februar 424 v. Chr. aufgeführt wurde.

Stand: 01.02.2011 | Archiv

Sendung nachhören: Aristophanes führt "Die Ritter" auf (01.02.424v.Chr.)

01 Februar

Dienstag, 01. Februar 2011

Autor: Thomas Morawetz

Sprecherin: Krista Posch

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Im Herbst 2010 fürchteten sich plötzlich die Politiker vor den Bürgern. Stichwort Stuttgart 21: Aus ein paar wenigen Bahnhofsgegnern wurde eine bundesweite Protestlawine. Der FDP-Grande Rainer Brüderle kommentierte das Debakel für die erschrockenen Politiker: Wenn die Bürger finden, dass sie nicht mehr genug teilhaben an der Demokratie, dann passiert's wie in Stuttgart, dass die Oma im Baum hängt mit 'nem Schild - "Alles Mist!"

Schnell war man sich einig: Die Oma soll wieder runter vom Baum. Und wie das geht, wusste man auch gleich: mit mehr Bürgerbeteiligung! Das klingt schön und macht direkt die Atemwege frei. Mehr Bürgerbeteiligung heißt mehr Demokratie! Mehr selbst entscheiden, und heißt deshalb auch: Ja! Weniger Politiker! ... Soweit jedenfalls die Theorie.

Ob die stimmt, kann man nachprüfen und zwar bei den alten Athenern, die die Demokratie erfunden haben. Die sind im 5. Jahrhundert v. Chr. auf das Prinzip "ein Mann - eine Stimme" gestoßen. In der Volksversammlung stimmten die Männer schlicht über alles ab, was man überhaupt nur beschließen konnte. Sollen wir das Ziegeldach des Tempelchens erneuern? Oder sollen wir vielleicht Sizilien überfallen? Athen - das Paradies für "mehr Bürgerbeteiligung". Mehr geht überhaupt nicht. Aber waren die Athener deswegen wirklich ihre eigenen Herren im Haus, sozusagen politikerlos glücklich?

Jetzt kommt der Pferdefuß: Wenn alle dauernd über alles abstimmen müssen, dann müssen natürlich auch immer alle wissen, um was es eigentlich geht. Und wer soll einem das selbstlos und uneigennützig erklären - rund um die Uhr? Eben. Politiker.

Im Winter des Jahres 424 v. Chr. bringt der Komödiendichter Aristophanes genau das zur Sprache, in seinem Stück "Die Ritter". Drei Tage dauert das Aufführungsfest, über die Wende vom Januar auf den 1. Februar.

Wenn das Stück beginnt, stehen zwei Sklaven auf der Bühne. Sie sind verzweifelt. Ihr Herr, der Demos, was auf Griechisch "Volk" heißt, ist seit neuestem wie ausgewechselt. Er ist einem neuen Sklaven auf den Leim gegangen, ist ihm völlig hörig, einem ausgemachten Schuft, Lügner und Schwätzer. Aristophanes karikiert also das Volk und seine Politiker als Herr und Luxus-Sklaven. Auf jeden Fall muss der Neue weg, finden die beiden, sonst ist ihr eigenes schönes Leben zu Ende. Also, was tun? Ganz einfach. Sie bräuchten jemanden, der noch verworfener ist, einen Super-Gauner. Der soll den verhassten Neuling beim Herren übertrumpfen. Schön! Wer könnte also auf die Schnelle zum idealen Politiker gemacht werden? Die beiden werden fündig - ein Wursthändler vom Markt. Der staunt nicht schlecht. Wie? Ich? Aus mir soll ein großer Mann werden? Aus einem Wursthändler? Aber ja!, reden ihm die beiden zu. Gerade weil er gemein ist, ein Schreihals und unverschämt. - Aber er kann doch kaum lesen, wendet der Wursthändler noch ein. - Ja, gerade das bisschen würde ihm eher noch schaden, beschwichtigen die Sklaven.

Der Wursthändler macht mit. Es kommt zum harten Kampf zwischen den Konkurrenten. Wer kann lauter schreien, geschickter stehlen, dreister lügen? Und - wer kann dem Demos noch widerwärtiger in den Allerwertesten kriechen? Nach langem Ringen gewinnt der Wursthändler. Er hatte die noch verrückteren Wahlversprechen.

Die Athener waren begeistert und haben Aristophanes den ersten Preis beim Fest verliehen. Der Dichter war glücklich, doch welches Fazit soll man heute ziehen? Vielleicht dieses: Mehr Bürgerbeteiligung ist auch kein wirksamer Schutz vor Politikern. Ach ja, und die Oma? Die kommt schon wieder runter vom Baum, wenn sie Hunger hat.


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