13. März 1923 Emma Read erhält US-Patent für „tragbaren Babykäfig“
Kinder brauchen frische Luft. Doch wo sollte die frische Luft herkommen in den boomenden Großstädten Anfang des 20. Jahrhunderts? Mal eben mit dem Kinderwagen durch den dichten Straßenverkehr? Besser das Kind im Käfig aus dem Fenster hängen, dachte sich eine findige Amerikanerin. Autorin: Ulrike Rückert
13. März
Donnerstag, 13. März 2025
Autor(in): Ulrike Rückert
Sprecher(in): Irina Wanka
Redaktion: Susi Weichselbaumer
"Die Enkeltochter des Präsidenten ein Frischluftbaby" – das war amerikanischen Zeitungen 1916 eine Meldung wert. Ein Foto zeigte, wo die acht Monate alte Enkelin von Präsident Wilson ihre Luftbäder genoss: In einer Kiste aus Blech und Drahtgeflecht, die vor einem Fenster im dritten Stock hing. Es war ein Wahlkampfjahr, und Wilsons Konkurrent ließ die Presse wissen, dass auch sein Enkel ein Frischluftbaby sei und sich in seiner "Fensterkrippe" vergnüge – im zehnten Stock eines Apartmenthauses.
Draußen abhängen
Babys müssen an die frische Luft, das predigten Kinderärzte seit dem 19. Jahrhundert. Es sei das beste Mittel gegen Tuberkulose und andere Krankheiten. Nicht ganz einfach allerdings in den rapide wachsenden Großstädten, wo selbst gutsituierte Familien zunehmend nicht im eigenen Haus mit Gärtchen lebten, sondern in Etagenwohnungen.
Kanarienvögel und Kinder
Keiner weiß, wer zuerst auf die Idee kam, Babys im Käfig rauszuhängen wie Kanarienvögel. Eleanor Roosevelt, die spätere First Lady, legte 1908 ihre kleine Tochter zum Mittagsschlaf in einen Drahtkasten vor dem Fenster. Woher sie ihn hatte, ist unbekannt. Sie war stolz darauf, eine moderne Mutter zu sein, und fiel aus allen Wolken, als eine Nachbarin drohte, den Kinderschutzverein zu alarmieren.
Fünf Jahre später meldeten Alice Lafferty und ihr Architektengatte in New York eine ausgetüftelte Version zum Patent an. Der Antrag hob nur die besondere Konstruktion als schutzwürdige Innovation hervor; Babykäfige waren also nicht unbekannt, und die Laffertys witterten ein Geschäft.
Sie gründeten eine Firma, nannten ihr Modell "Fensterkrippe" und rührten die Werbetrommel, mit einigem Erfolg. Gesundheitsbewusste Eltern wie die Tochter des Präsidenten schafften die "Fensterkrippen" an. Sie wurden von Frauenvereinen empfohlen, und Presseberichten zufolge installierte die Stadt New York sie in Krankenhäusern und Kinderhorten. Ein wohltätiger Verein wurde eigens gegründet, um Babykäfige in den Slums zu verteilen.
Am 13. März 1923 erhielt Emma Read aus Spokane im Bundesstaat Washington ein Patent auf einen "tragbaren Babykäfig", handlich zusammenklappbar. Aber wie es scheint, kam Emma Read zu spät. In Amerika war die Zeit für Babykäfige abgelaufen.
Dafür tauchten sie jenseits des Großen Teichs in England auf. In den Dreißigerjahren forderten dort Frauenvereine, Architektenverbände und linke Politiker, dass Mietwohnungen Balkone haben sollten, damit kleine Kinder an die Luft kämen. Solange es daran fehle, seien Babykäfige ein guter Ersatz. Der Bezirksrat eines Londoner Arbeiterviertels bot sie Mietern von Sozialwohnungen kostenlos an. Das englische Modell war eine simple Konstruktion aus Maschendraht. Noch in einem Wochenschaufilm von 1953 zappelt ein Baby fröhlich in einem solchen Käfig.
Wie verbreitet die Dinger tatsächlich waren, ob in Amerika oder London, ist unklar. Aber schließlich hielt es wohl doch keiner mehr für eine gute Idee, Babys im dritten oder zehnten Stock vors Fenster zu hängen, an ein paar Schrauben, die ein Heimwerker in den Fensterrahmen gedreht hatte.