1. November 2011 Ein Tag für die Chrysantheme
Die Chrysantheme gehört zu Allerheiligen, sie ist die beliebteste Herbstblume des Friedhofs. Verehrt wurde sie aber in China, wo sie seit dem 15. Jahrhundert gezüchtet wird - und ganz andere Empfindungen auslöst.
01. November
Freitag, 01. November 2013
Autor(in): Arnold Vals
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Thomas Morawetz
Allerheiligen ist das Fest, das der Verehrung aller Heiligen dient. Die Gräber der verstorbenen Angehörigen werden geschmückt, deren Gedenken der Folgetag Allerseelen gewidmet ist. Angesichts der sterbenden Natur soll der Blick auf das ewige Leben gerichtet werden - ein Brauch, den die irischen Missionare im 9. Jahrhundert nach Deutschland brachten. Und sowohl den Tod als auch das Leben symbolisiert die beliebteste Herbstblume des Friedhofs, die Chrysantheme. Lange Zeit galt sie bei uns nur als die Totenblume, doch inzwischen ziert sie auch Gärten, Balkone und Wohnzimmerfenster, weil sie den späten Herbsttagen noch einmal die prächtigsten Farben abgewinnt.
Nicht mehr als 16 Blütenblätter
Ihre europäische Bezeichnung verdankt sie dem berühmten Botaniker Carl von Linné, der ihr den altgriechischen Namen Chrysanthemo, die Goldblüte, gab. Ihren Ursprung hat sie in China, wo sie schon im 15. Jahrhundert vor Christus gezüchtet wurde und zur Lieblingsblume der Mandarine aufstieg.
Im 5. Jahrhundert vor Christus nannte man sogar den Geburtsort eines besonders erfolgreichen Züchters die "Stadt der Chrysantheme". Mit ihr wurden in China die Tempel geschmückt, Porzellan bemalt, Textilien, Holzschnitzereien und Metallarbeiten verziert. Bis heute wird eine bestimmte Sorte, die Hangbai-Chrysantheme, in der chinesischen Medizin als Heilmittel verwendet. Von China aus gelangte sie im 9. Jahrhundert nach Japan, wo sie den Namen "Kiku", die Abendsonne, erhielt. Sie schmückte die Schwerter des Tenno, und eine bestimmte Art, die nicht mehr als 16 Blütenblätter haben darf, wird "Kaiserblume" genannt, weil sich von ihr das Wappen der Kaiserfamilie ableitet. Auch den höchsten japanischen Orden ziert die sechzehnblättrige Chrysantheme. Daneben gibt es noch viele andere Sorten, denn der beliebte Stern aus der Familie der Korbblütler ist auch eine Blume des Volkes. Als Gegenstück zum berühmten Kirschblütenfest des Frühlings wird im Herbst das Chrysanthemenfest gefeiert.
Symbol des langen Lebens
Die Zucht der Chrysantheme erreichte ihren Höhepunkt im Japan des 16. Jahrhunderts, aber noch bis vor den Ersten Weltkrieg blühten im kaiserlichen Garten alle jemals bekannt gewordenen Sorten. Nirgendwo ist das Streben nach botanischer Vollkommenheit so groß wie in Ostasien, wo ein Maler sein ganzes Leben nur Chrysanthemen malt, um die einzig gültige Form, die Vollendung, zu finden. Über den zweiten Weltkrieg hinaus soll es einen japanischen Gärtner gegeben haben, der jedes Jahr dreißigtausend Pflanzen züchtete, von denen am Ende immer nur fünf als vollkommene Exemplare gelten durften.
Nach Europa kam die Chrysantheme im Jahr 1688. Holländische Kaufleute hatten die ersten sechs Sorten, rote, weiße, gelbe, purpurne, lachsfarbene und rosa blühende, aus China mitgebracht. Sie erlebten nicht den kommerziellen Taumel, der sich um die Tulpen drehte, sondern breiteten sich im Stillen aus. Heute gilt die Chrysantheme als Königin der ostasiatischen Blumen, und wenn sie an Allerheiligen die Gräber schmückt, und dort sogar den ersten frostigen Temperaturen trotzt, wird ganz verständlich, wofür sie in China und Japan geschätzt wird: als Symbol des langen Lebens.