3. Januar 1925 Mussolini ruft den faschistischen Staat aus
Erst hatte es Mussolini noch schwer, den Italienern den gewalttätigen Stil seiner Politik zu verkaufen. Dann übernahm er am 3. Januar 1925 sogar die Verantwortung für einen politischen Mord - mit erstaunlichen Folgen.
03. Januar
Dienstag, 03. Januar 2012
Autor(in): Rainer Volk
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Redaktion: Thomas Morawetz
„Italienische Verhältnisse“ - das ist heutzutage eine Chiffre für Unbeständigkeit, ewigen Wechsel, kurz: es ist alles das, was uns an Politik abschreckt. Dabei gibt es im 20. Jahrhundert eine Zeit, in der Italiens Beispiel Schule macht und selbst demokratische Politiker fasziniert - oder zumindest neugierig - nach Rom schauen.
Objekt der Neugierde ist der Journalist und gescheiterte Volksschullehrer Benito Mussolini. Der ist seit Oktober 1922 Regierungschef in Rom, weil er gedroht hat, dass seine finsteren Schwarzhemd-Milizen auch auf die Hauptstadt marschieren, falls man ihm nicht die Macht überantwortet. Italien ist Anfang der 20er Jahre hilflos, zerrissen und in der politischen Mitte verlassen genug, dass der König Viktor Emmanuel der Einschüchterung nachgibt.
Rutenbündel und Faschisten
Die Kampfbünde der Schwarzhemden, vor allem enttäuschte Kriegsveteranen, tragen als Emblem ein Rutenbündel wie die Liktoren im alten Rom. „Fasces“ hieß das Bündel in der Antike, „fasci“ nennen sich die Schwarzhemden und werden so zum Namenspatron des Faschismus.
Mussolini, das zynische Rednertalent, hetzt sie auf linke Landbesetzer und auf Arbeitergruppen - mit dem Segen von Industriebossen, Großgrundbesitzern und Klerus. Die fürchten nämlich die rote Revolution in Italien. Sie staunen aber auch, als Prügel nach dem Einzug Mussolinis in die Ministerpräsidenten-Residenz, dem Palazzo Chigi, weiterhin Mittel der Politik bleiben.
Dabei gehören Aktivismus und Gewalt notwendig zum Arsenal Mussolinis. Seine Steuererleichterungen und Privatisierungen sorgen zwar für einen mäßigen Aufschwung in der Wirtschaft, ändern aber kaum etwas an der hohen Arbeitslosigkeit. Für die sind auch abrupte Entscheidungen wie jene verantwortlich, auf einen Schlag fast 40.000 Eisenbahner zu entlassen - wegen angeblich geringer Leistung.
Ein Mord und ein Geständnis
Als sich die Zweifel mehren am Aktivismus des Premiers, und Neuwahlen des Parlaments eine weitere Zusammenarbeit mit anderen Parteien erfordern, kommt Ende Mai 1924 die Nachricht von der Entführung und Ermordung des sozialistischen Parlamentariers Giacomo Matteotti. Anfangs reagiert Mussolini auf sie, indem er die Schuld auf andere schiebt, den Polizeichef und seinen langjährigen Pressesprecher entlässt und das bisher selbst geführte Innenministerium abgibt.
Fruchtlose Manöver - seine Herrschaft wankt, die Gönner beim Militär und in der Industrie werden nachdenklich. Da begeht die Opposition einen schweren Fehler. Empört über den Matteotti-Mord zieht sie aus dem Parlament aus, um moralischen Druck auszuüben. Damit bekommt Mussolini die Luft, die er braucht, um Mut für neue Unverschämtheiten zu fassen.
Ende 1924 ist er wieder der Alte, und als am 3. Januar 1925 die parlamentarische Weihnachtspause zu Ende geht, hört das Rest-Parlament von ihm eine Art Geständnis. Mussolini übernimmt die gesamte politische Verantwortung für den Mord. Die Selbstanklage gipfelt in dem Satz: „Wenn der Faschismus eine Verbrecherbande ist, so bin ich eben der Anführer!“ Darauf folgt frech die Aufforderung, ihn anzuklagen.
So deutlich wie an diesem Tag ist selten Gewalt als legales Mittel der Politik gerechtfertigt worden. Der 3. Januar 1925 markiert den Auftakt zum totalitären Staat in Italien. Es gibt binnen kurzem über 600 Hausdurchsuchungen, über 100 Verhaftungen und fast ebenso viele Verbote von politischen Clubs. Bereits zwei Tage später legt der Justizminister Vorschläge vor, die es der Regierung ermöglichen, mit Hilfe von Dekreten zu regieren. Das Parlament, vor allem aber der König und auch der Vatikan schweigen dazu. Und bald ist es zu spät: Mussolini, jetzt „Duce“ genannt, sitzt endgültig im Sattel.
Der Mussolini-Bewunderer Adolf Hitler ist zwei Wochen vor diesem 3. Januar 1925 von einer sympathisierenden Justiz wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Er begreift das als Aufforderung, auch im Deutschen Reich „italienische Verhältnisse“ zu schaffen. Der Rest ist Geschichte.