Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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4. Januar 1947 Erste Ausgabe des SPIEGEL erscheint

"Nichts interessiert den Menschen so sehr wie der Mensch", heißt das Prinzip aus den Gründertagen des Magazins "DER SPIEGEL". Der Autor Rudolf Augstein war den Briten, für deren Besatzungszeitung er geschrieben hatte, zu frech. Da gründete er ein eigenes Magazin - am 4. Januar 1947 erschien der die erste Ausgabe des SPIEGEL.

Stand: 04.01.2010 | Archiv

4. Januar 1947: Erste Ausgabe des SPIEGEL erscheint

04 Januar

Montag, 04. Januar 2010

Autor(in): Brigitte Kohn

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

SPIEGEL-Leser wissen mehr. Dass Oskar Lafontaine mit Sahra Wagenknecht außerehelich verbandelt gewesen sein soll zum Beispiel. Dass die Kannibalen in Papua-Neuguinea reihenweise an der infektiösen Hirnkrankheit Kuru gestorben sind. Dass Mutti Merkel ein verlässliches soziales Auge hat aufs gute alte Merkelland und sich tapfere Kämpfe liefert mit den Kerlen aus der Finanzwelt.

Hofberichterstattung, sagen Kritiker. Verdrehte Fakten, protestieren Wissenschaftler. Viel zu viel Klatsch und Tratsch, finden viele. "In der Tat ist DER SPIEGEL keineswegs ein Nachrichtenblatt", schrieb der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger schon 1957. "Der redaktionelle Inhalt besteht vielmehr aus einer Sammlung von Storys, von Anekdoten, Briefen, Vermutungen, Interviews, Spekulationen, Klatschgeschichten und Bildern."

Das eben war das Neue. Als DER SPIEGEL am 4. Januar 1947 das erste Mal erschien, platzte er in die dürre Presselandschaft der Nachkriegsjahre, in der Betulichkeit und Umständlichkeit den Ton angaben. DER SPIEGEL nahm sich die angelsächsischen Magazine zum Vorbild, und das hieß: Konzentration aufs Wesentliche, Allgemeinverständlichkeit, packende Geschichten, ein flotter Stil und Bilder, die Menschen in Aktion zeigen statt offizielle Porträts. "Nichts interessiert den Menschen so sehr wie der Mensch. Darum sollten alle SPIEGEL-Geschichten einen hohen menschlichen Bezug haben", heißt es im SPIEGEL-Statut von 1949. Sein Herausgeber Rudolf Augstein, damals 23 Jahre alt, hatte vorher bei der "Woche" gearbeitet, einer Lizenzzeitung der britischen Besatzungsmacht. Seine freche Schreibe hatte die Briten geärgert. Sie wollten den lästigen Kläffer loswerden, überließen ihm die Lizenz und verlangten weiter nichts als ein paar Reichsmark und einen neuen Namen - "DER SPIEGEL" eben. So einfach war das damals.

Rudolf Augstein wurde bald zum einflussreichsten Leitartikler der Republik. Schrieb gegen Wiederbewaffnung und Westintegration, Adenauer und Strauß. Landete 1962 im Gefängnis, weil sein Blatt militärische Geheimnisse ausgeplaudert, also Landesverrat begangen haben sollte.
Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß stürzte über die SPIEGEL-Affäre und wurde durch Augsteins spätere jahrelange Kreuzzüge gegen ihn zum Gottseibeiuns der Linken. DER SPIEGEL entwickelte sich zum Mythos, galt als die einzig wirksame Opposition im Lande und Speerspitze gegen obrigkeitsstaatliches Denken. Und das, obwohl sich eine seltsam unterkühlte, uniforme Sprache über jedes Thema legt, der berühmt-berüchtigte SPIEGEL-Jargon, der das persönliche Herzblut des Schreibers aufsaugt wie ein Schwamm und unkenntlich macht. Und, wie Enzensberger schrieb, vor allem eines signalisiert: skeptische Allwissenheit, die an allem zweifelt außer an sich selbst.

Ein dichtes Netz von Informanten, dicke Schecks im Austausch gegen vertrauliche Aktenberge: Damit wurde DER SPIEGEL zum publizistischen Presslufthammer, der Wirtschafts- und Politskandale aufdeckt und die Mächtigen erzittern lässt. Der Demokratie hat es genützt. Doch in den frühen 90er Jahren ließ der Erfolg des "Focus" den Nimbus verblassen. Privatsender und Internet traten ihren Siegeszug an und verunsicherten den Blätterwald. Man wurde bunter, lauter, vielseitiger und belangloser. Auch im Hause SPIEGEL tat sich einiges: SPIEGEL-TV, SPIEGEL-ONLINE, immer mal wieder ein neues Spezialheft, ja sogar ein Kinder-SPIEGEL buhlen um die Gunst eines überfütterten Publikums. Montag ist immer noch SPIEGEL-Tag. Doch dass er Zähneklappern auslöst in den Etagen der Macht, davon hört man heute eher selten.


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