Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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5. Dezember 1854 Ernst Litfaß darf erste Säule aufstellen

Ernst Litfaß engagierte sich erst für die Märzrevolution, dann für die Restauration und versprach schließlich öffentliche Bedürfnisanstalten. Am 5. Dezember 1854 bekam er dafür die Erlaubnis, in Berlin Werbesäulen aufzustellen.

Stand: 05.12.2012 | Archiv

05.12.1854: Ernst Litfaß darf erste Säule aufstellen

05 Dezember

Mittwoch, 05. Dezember 2012

Autor(in): Silke Wolfrum

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Redaktion: Thomas Morawetz

Ist sie nicht großartig! Eine schmucke Säule, an der sich jeder Bürger kostenlos informieren kann. Ein Zeichen großstädtischen Lebens, Ort der Geselligkeit, öffentliches Bilderbuch und moderne Illustrierte zugleich. Hoch soll sie leben, die Litfaßsäule!

Kein einziges Urinoir

Diese Worte könnten fast von ihrem Schöpfer selbst, dem Druckereibesitzer Ernst Litfaß, stammen. Denn dieser verstand es hervorragend Werbung zu machen und vor allem Werbung für sich. Deshalb hieß er in Berlin auch "der Reklamekönig". Ein weiteres Mittel zum Erfolg: Inszeniere dich immer wieder mal als öffentlicher Wohltäter. So war in dem Vertrag, den er am 5. Dezember 1854 mit dem Berliner Polizeipräsidenten schloss, von dreißig Urinoirs die Rede, die Litfaß in Berlin aufstellen wollte. Bis Mitte der 18hundertfünfziger Jahre hatte Berlin nämlich keine vernünftige Wasserversorgung, die Abwässer liefen noch direkt über die Rinnsteine in die Spree. Kurz: Es stank! Und da wären Anschlagsäulen, die man innen drin noch als "Bedürfnistempelchen" nutzen konnte, doch wirklich eine Wohltat gewesen. Aber Ernst Litfaß stellte Zeit seines Lebens kein einziges Urinoir auf, wohl aber hunderte von Litfasssäulen, die ausschließlich der Werbung dienten. Geschickt hatte er den ursprünglichen Vertrag durch einen neuen ersetzt.

Angeblich ärgerte sich Ernst Litfaß einst über die zahlreichen Plakate und Werbezettel, die in Berlin wild an Hauswänden und Gartenzäunen klebten und kam so auf die Idee mit den Anschlagsäulen. In Paris und London gab es die bereits. Fakt ist, dass während der Märzrevolution 1848 er selbst fleißig politische Plakate und Flugschriften gedruckt und für deren "wilde Verbreitung" gesorgt hat. Damals, als die Hoffnung auf eine Demokratisierung Deutschlands groß war, verlegte Litfaß sogar die hochpolitische Zeitschrift "Berliner Krakehler", in der zum Beispiel die erneute Einschränkung der soeben frisch errungenen Meinungsfreiheit angeprangert wurde.

Hass auf Demokraten

Umso erstaunlicher, wie es Litfaß wenige Jahre später, als schon wieder Restauration angesagt war, gelang, den Berliner Polizeipräsidenten als engsten Verbündeten zu gewinnen. War dieser doch bekannt für seinen Hass auf Demokraten. Doch tatsächlich wurden dem Polizeipräsidenten die Anschlagsäulen zur Herzensangelegenheit. Sie waren nämlich ein hervorragendes Mittel der Zensur. Von nun an durfte in ganz Berlin nur noch Litfaß auf seinen Säulen plakatieren, also Schluss mit der wilden Wandzettelei. Angeblich verschönerte dies das Stadtbild ungemein. Vor allem aber war es damit nun vorbei mit der unkontrollierbaren Flut politischer Anschläge im öffentlichen Raum.

Den anfänglichen Unmut der Bevölkerung über seine Säulen zu zerstreuen, war für den Reklamekönig kein Problem. Er ließ die "Ernst Litfaß-Annoncir-Polka" komponieren und Mini-Litfaß-Säulen bauen, die als Feuerzeug oder Zigarrenetui dienten. Und wurde so zum "Säulenheiligen", reich und anerkannt. War er nun ein Wendehals oder einfach ein verdammt guter Unternehmer? Vermutlich beides.


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