11. November 1843 Andersens "Hässliches Entlein" erscheint
Hans Christian Andersen hat das Märchen vom "hässlichen Entlein" erfunden. Seine Leser verstanden die Erzählung als Lebensgeschichte des Dichters. Inklusive Schwanwerdung. Übrigens junge und ältere Lesende genauso, denn Andersen wollte nie ein Märchenonkel nur für Kinder sein. Autorin: Prisca Straub
11. November
Montag, 11. November 2024
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Ein Dichter für Kinder zu sein - das Etikett hat Hans Christian Andersen schon zu Lebzeiten gekränkt. Ein Märchenonkel für Minderjährige? Was für eine Zumutung! Doch ausgerechnet dafür ist Andersen in Erinnerung geblieben. Vergessen sind seine romantischen Jugenddramen und all die Reimereien, die der dänische Dichter seinen unglücklichen Liebschaften widmet. Geblieben sind: "Die kleine Meerjungfrau" - "Die Prinzessin auf der Erbse" - und ganz besonders: "Das hässliche Entlein".
Als blinder Passagier ins Leben
Dass Hans Christian Andersen mit seinem am 11. November 1843 veröffentlichten hässlichen Entlein weltberühmt wurde, das hing mit den ganz offensichtlichen Parallelen zu seiner eigenen Biografie zusammen: Das hässliche Entlein wurde verstanden als Erfolgsgeschichte eines gedemütigten Außenseiters - der Lebensweg eines unverstandenen Kükens, das trotz zahlreicher Rückschläge schließlich doch noch ans Ziel kommt.
Auch im Leben von Hans Christian Andersen läuft von Anfang an alles schief: Die Verhältnisse, in die er hineingeboren wird, sind ärmlich und zerrüttet - die Mutter Alkoholikerin, der Großvater geisteskrank, die Tante Bordellwirtin. Doch als 14-Jähriger fällt Andersen die wohl wichtigste Entscheidung seines Lebens: Als blinder Passagier besteigt er die Postkutsche und verlässt die rückständige dänische Kleinstadt Odense. Mit ein paar wenigen Schillingen in der Tasche kommt er 1819 in Kopenhagen an - ein schlaksiger, hochaufgeschossener Junge - und verlegt sich aufs Theatralische: Er singt und tanzt mitleiderregend - aber immerhin reicht es hin und wieder für eine warme Mahlzeit. Doch Andersen hat weder Stimme noch Aussehen für die Bühne - und Protektoren wie Sponsoren tragen den Schnabel naturgemäß recht hoch.
Mit gerupftem Gefieder muss der hohlwangige Dichter die unwürdigsten Demütigungen ertragen, bevor er dann tatsächlich einen einflussreichen Förderer findet, zum Studium geschickt wird - und dann - buchstäblich über Nacht - zum Star wird.
Achtung - nur scheintot!
Andersens Botschaft ist kaum zu überhören: "Hör mal, man hat Dich zum hässlichen Entlein gemacht! Verlasse den Ententeich und finde die Heimat, in die Du wirklich gehörst!" Bis zum heutigen Tag können Andersens Leser mit dieser Botschaft viel anfangen: Die zeitlose Geschichte eines missverstandenen Wesens, das so viel Grausames durchmachen muss, bevor es seine verborgene Schönheit entfalten kann - sie hat inzwischen Modellcharakter für die Entwicklungspsychologie: "Entdecke den Schwan in Dir!"
Doch Andersen bleibt Zeit seines Lebens ein recht seltsamer Schwan - ein einsamer Mensch voller Minderwertigkeitskomplexe. Er leidet unter Verfolgungswahn, Stimmungsschwankungen und an Hypochondrie. Er ängstigt sich vor Hunden und Raubüberfällen. Aus Furcht vor Hausbränden geht er stets mit einem dicken Seil im Koffer auf Lesereise. Und weil ihn die Horrorvorstellung plagt, er könne lebendig begraben werden, kann er nicht einschlafen, ohne vorher einen Zettel auf dem Nachttisch deponiert zu haben "Achtung, ich bin nur scheintot!" Doch seine Märchen machen ihn schließlich unsterblich.