8. Juni 1937 Uraufführung von Orffs "Carmina Burana"
Orffs "Carmina Burana" eines der erfolgreichsten und populärsten Werke klassischer Musik, das den Nazis Unbehagen bereitete und in unzähligen Werbespots und Soundtracks verwertet wurde. Autor: Frank Halbach
08. Juni
Donnerstag, 08. Juni 2017
Autor(in): Frank Halbach
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Oh Fortuna, Imperatrix mundi, Schicksalsgöttin, Herrscherin der Welt! Du ergreifst Hörer und Hörerin, nimmst ab und zu wie der Mond, lässt teure Autos wie antike Streitwägen galoppieren, Schokolade spielerisch den wachen Sinn verwöhnen, preist Pfandbriefe als das Los des Heils und der Tugend, und Hunderten von Leinwandepen verhilfst du mit archaischen Rhythmen zu Welterfolg…
O Fortuna
Für all das ist die Schicksalsgöttin zuständig? Oh ja, diese spezielle Fortuna schon: der Beginn von Carl Orffs szenischer Kantate "Carmina Burana". Ihre Klänge sollen in zahllosen Werbespots und etlichen Filmen jegliche Skepsis des Zuschauers zerschmelzen wie Eis. Und bevor Carl Orff der Herrscherin der Welt einen musikalischen Ruhmeskranz komponiert hatte, begünstigte sie schon den Komponisten. Orff fand nämlich eines Tages in einem Antiquariatskatalog den Titel: "Carmina Burana. Lateinische und deutsche Lieder und Gedichte aus einer Handschrift des 13. Jahrhunderts aus Benediktbeuren". Und so nahm das Schicksal seinen Lauf. Carl Orff wählte aus den weit über 200 Liedern der mittelalterlichen Handschrift 24 Stücke aus und setzte sie in Töne: sinnlich, derb, schön, brutal, voller Lebenslust, voller Spiritualität, mythisch, magisch. Am 8. Juni 1937 wurde dieses Orff´sche Welttheater in der Frankfurter Oper uraufgeführt.
"Bayerische Niggermusik"
(laut) "Bayerische Niggermusik!" Pst! (flüstert) "Bayerische Niggermusik, voller artfremder Elemente", urteilte damals die Reichsmusikkammer der Nazis – aber eben leise, denn – wie das Schicksal spielte – der Führer mochte die "Carmina Burana" – und für die Papiertiger von der Reichsmusikkammer war der Führer ihr Schicksal. Dabei deckte sich ihre Kritik in einem Punkt mit Warnungen aus Orffs Freundeskreis: Latein! Die singen auf lateinisch. Für die Nazis unteutonischer "welscher Tand", während Orffs Freunde meinten:" Eine tote Sprache, kein Mensch versteht das, Carl, du wirst dein Publikum verprellen." Doch es fügte sich anders:
Gerade das Mythische der toten Sprache verlieh den "Carmina Burana" die Aura höherer Gültigkeit, eine Fügung unbezweifelbar für alle Menschen, egal welche Sprache sie sprechen.
Fügung, Bestimmung, Vorsehung, Schicksal - das wären ja eventuell noch Themen gewesen, mit denen auch ein Reichsmusikkammer-Bürohengst etwas hätte anfangen können, aber nach der wuchtigen Eingangsnummer "O Fortuna"… Da nehmen Mönche brave deutsche Bürger beim Würfelspiel aus, da wird gesoffen, Völlerei, Vögelei, jeder mit jeder…Pfui Teufel!
Die strammen Jungs von der Reichsmusikkammer waren wohl recht verklemmte Spießer. Und sie hatten natürlich keinen Schimmer, was die auch in den Carmina enthaltenen mittelhochdeutsche Texte zu bedeuten hatten: nämlich die Emanzipation deutscher Literatur und Dichtung. Ihr Erwachsenwerden! - In einer Zeit, in der die lateinische Sprache dominierte.
Aber vielleicht…vielleicht waren sie doch gar nicht so dumm? Und haben etwas verstanden: "Schicksal, fürchterlich und nichtig, du bist ein sich drehendes Rad, ein böser Zustand, ein leeres Heil, immer von Auflösung bedroht. Dunkel und verschleiert glänzt du auch mir." Ja, Fortuna macht auch vor tausendjährigen Reichen nicht halt. Und das ist etwas, worüber sich keiner beim Schicksal beklagen sollte. O Fortuna!