9. Juni 68 Kaiser Nero stirbt
Nicht einfach ein Leben als Künstler. Einfacher allerdings, wenn man selbst als Kaiser oberste Jury ist. Nicht einfach ein Leben als Kaiser. Denn wenn's den erwischt, geht's auch gleich dem Künstler in ihm an den Kragen… Autorin: Justina Schreiber
09. Juni
Dienstag, 09. Juni 2015
Autor(in): Justina Schreiber
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Frank Halbach
Von wegen böse Menschen haben keine Lieder. Ganz im Gegenteil, möchte man im Fall Kaiser Neros sagen. Der Despot, der ohne mit der Wimper zu zucken, missliebige Verwandte, darunter die eigene Mutter, umbringen ließ, griff in seiner Freizeit gerne zur Kithara und übte sich in der Sangeskunst - wobei sich das Hobby im Laufe der Jahre immer mehr zur echten Profession entwickelte, während die lästige Politik in den Hintergrund rückte. Man kennt diese Flucht in die schönen Künste ja von anderen Herrschern - König Ludwig II. von Bayern etwa.
Wo der Kaiser singt, da lass dich ruhig nieder
Nero jedoch litt weniger an der schlechten Welt als vielmehr an äußerst starkem Geltungsdrang. Er wollte - zur Pein der römischen Oberschicht - eine Art Popstar sein. In gewisser Weise war er es auch. Denn das Volk liebt Brot und Spiele, und beides bekam es von Nero. Zwar lehnte der Schöngeist mit der grausamen Ader überraschenderweise blutige Gladiatorenkämpfe ab. Aber stattdessen hatte er selbst einiges zu bieten. Klar: die Stimmung bei seinen Konzerten war von Claqueuren angeheizt; auch sagten die angeblich 1200 Siegerkränze, die er nach seiner Griechenlandtournee triumphal präsentierte, nicht wirklich etwas über die Qualität der prämierten Songs aus. Doch was bedeutet es schon, manierierte Melodramen aus kaiserlichem Mund ertragen zu müssen im Vergleich zu den ewigen Eroberungskriegen, wie sie andere Cäsaren betrieben. So dachten die einfachen Leute und die, die von der dekadenten Hofhaltung des bisexuellen Selbstdarstellers profitierten.
Mit der Redefreiheit war es - anders als in der vorangegangenen Adelsrepublik -
in der Monarchie jetzt eh vorbei. Also konnte man auch einem Manne huldigen, der zuletzt einer Bordellwirtin aus Melbourne glich. Diese Gemeinheit hat der Schriftsteller August Strindberg in die Welt gesetzt; ohne deshalb gut 1800 Jahre nach dem Tod Neros noch um seinen Kopf fürchten zu müssen.
Jedoch: Obwohl im alten Rom das Gerücht kursierte, der viel gepriesene Imperator der Bühnenkunst plane eine weitere Karriere als Athlet - du meine Güte, der Kaiser nackt! -, scheint Nero im Kern ein richtiges Weichei gewesen zu sein. Allein das unwürdige Theater, das er machte, bevor er am 09. Juni des Jahres 68 nach Christus seinem Leben ein Ende setzte, spricht Bände.
Welch Künstler starb mit ihm!
Als das Heer von ihm abfiel und klar war, dass ihn der Senat zum Staatsfeind erklären würde, zog sich der 31-Jährige mit einigen Wachtribunen zu stundenlangen Beratungen zurück: Ob er sich vielleicht als Sangeskünstler nach Alexandria absetzen sollte? Oder ob er mittels seiner schauspielerischen Fähigkeiten vorm Volk auf dem Forum Romanum doch noch Verzeihung für all den Prunk und Protz und seine zögerliche Politik erheischen konnte? Aber selbst die treuesten der Treuen verweigerten ihm die Gefolgschaft. Nun saß der gestürzte Bühnenheld bangend und grübelnd in einer Kellerkammer: “Welch‘ Künstler stirbt mit mir!“ soll er immer wieder ausgerufen haben: “Qualis artifex pereo!“ Die vier letzten verbliebenen Begleiter drängten zum Selbstmord; er dagegen bat, getötet zu werden. Was für ein quälender letzter Akt, bis er sich schließlich - offenbar unterstützt von seinem Sekretär - den Dolch in den Hals drückte! Mit diesem elenden Schwanengesang hätte niemand, nicht einmal Nero, einen Blumentopf gewinnen können.