9. Dezember 1922 Liesl Karlstadt gibt den Firmling
Hinter jedem großen Mann steht eine großartige Frau. Die kann auch klein sein. Wie etwa Liesl Karlstadt, die dem Großmeister Valentin nach allen Regeln der Kunst aufs komödiantische Podest hilft. Autor: Markus Mähner
09. Dezember
Mittwoch, 09. Dezember 2015
Autor(in): Markus Mähner
Sprecher(in): Ilse Neubauer
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Leicht hat sie es nie gehabt, die kleine große Frau neben Karl Valentin: Liesl Karlstadt. Obwohl sie immer im Schatten ihres großgewachsenen Partners stand - sie selber war gut eineinhalb Köpfe kleiner - hatte sie doch an der Entwicklung ihrer berühmten Szenen und Filme mindestens genauso viel Anteil wie der Meister selbst. Denn Valentin hatte meist nur die Grundidee zu einer Szene und fing dann an mit Liesl Karlstadt zu improvisieren. Er verteilte seine Pointen, sie musste darauf reagieren - und alles aufschreiben: denn der Meister war vergesslich!
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Wäre da nicht der Notizblock von Liesl Karlstadt gewesen: Sie hätten jedes Mal wieder von Neuem anfangen müssen. Ja selbst bei den Aufführungen war Liesl Karlstadt noch dafür zuständig ihm seinen Text zu soufflieren. Nebenbei war sie natürlich Maskenbildnerin, Valentins Sekretärin und Agentin. Doch nicht nur das: Sie war auch seine Psychologin, denn der Meister war ein Hypochonder! Er hatte Angst vor allem: Angst davor eine Eisenbahn zu besteigen, Angst vor allerlei Krankheiten oder einfach nur Angst vor der Zukunft. Lediglich Angst davor auf der Bühne seinen Text zu vergessen hatte er nicht. Dafür hatte er ja die kleine Liesl, zu der er schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen sagte: Für eine fesche Dame hätte sie einen viel zu kleinen Busen.
Kleiner Busen, kleine Rolle
Deswegen durfte sie bei ihm auch selten Frauenrollen spielen. Meist gab sie einen etwas dümmlichen Herrn oder Buben ab. Wie zum Beispiel bei dem Stück "Der Firmling", das am 9. Dezember 1922 im Münchner Germaniabrettl in der Schwanthalerstraße seine Uraufführung hatte. Liesl spielte den dumm-fröhlichen Firmling, Valentin den trinkenden Vater. Und wie immer erntete der Valentin die Lorbeeren. Ja, Liesl Karlstadt hatte es nicht leicht als kleine Frau neben dem großen Meister. Dabei war sogar ihr die Idee mit dem Firmling gekommen!
Und dann, 9 Jahre später, im August 1931 musste sie noch eine Erniedrigung hinnehmen: Das Werbefoto zur Firmling-Szene, das vor der Kleinkunstbühne Kolosseum in der Sendlingerstraße hing, musste auf polizeiliche "Empfehlung"hin entfernt werden. Man hatte daran Anstoß genommen, wie die kleine große Liesl Karlstadt auf dem Bild schaue, nämlich: blöd! Ja, Liesl Karlstadt hatte es wirklich nie leicht gehabt!
Der Rest ist Geschichte: Das Bild wurde aus dem Glaskasten entfernt, Valentin regte sich auf: er nähme das nicht hin, überhaupt schikanieren die Polizei und der Brandinspektor ihn sowieso schon ständig, während hinter ihrem Rücken der Glaspalast abbrenne. Er verließe nun München!
Der Meister blieb dann doch, weil er Angst vor der Eisenbahn hatte; neben dem Glaspalast brannten noch mehr Häuser ab; München wurde die Hauptstadt der Bewegung; Valentin bekam kaum noch Engagements; er zog sich nach Planegg zurück, wo er 1948 arm und verbittert starb. Und Liesl Karlstadt? Sie machte Karriere im Film und im Radio, wo sie endlich Frauenrollen spielen durfte. Doch das hatte sie sich hart erarbeitet. Denn leicht, ja leicht hat sie es nie gehabt, die kleine große Frau neben Karl Valentin.