10. Mai 1935 Goebbels lässt "Die Katakombe" schließen
Diktaturen bestimmen nicht nur, wo's lang geht, sondern auch was lustig ist, oder lieber noch, was nicht lustig ist. Darüber stolperte der Berliner Schauspieler Werner Finck. Am 10. Mai 1935 ließ Reichspropagandaminister Joseph Goebbels sein Kabarett, "Die Katakombe", schließen.
10. Mai
Dienstag, 10. Mai 2011, 09:50 Uhr
Autor: Thomas Grasberger
Sprecher: Hans-Jürgen Stockerl
Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung
Beim Humor hört sich der Spaß bekanntlich auf. Denn an ihm scheiden sich die Geister. Wo der eine wiehernd und Schenkel klopfend seine Zwerchfellerschütterung verarbeitet, krümmt sich der andere still vor Schmerz - peinlich berührt von den dargebotenen Flachheiten. Das ist in einigermaßen normalen Zeiten nicht weiter dramatisch, geht es doch allenfalls um die Frage, ob sich der geneigte Humor-Konsument damit begnügt, etwa beim Betrachten einer TV-Comedy den Vorgaben der Computer gesteuerten Lachmaschine zu folgen. Oder ob er lieber gleich seinen Fernsehapparat aus dem Fenster wirft - zur aktiven Verarbeitung der gesehenen und gehörten Geschmacklosigkeiten.
Kulturpessimismus ist an dieser Stelle nicht angebracht, denn das Umsichgreifen seichten Humors hat auch gute Seiten. Zumindest wenn man dem Kabarettisten Ernst Röhl glaubt, der die Faustregel aufgestellt hat: "Schlechte Zeiten, gute Witze." Was zum Umkehrschluss führt, dass wir heute angesichts der vielen schlechten Witze eher in guten Zeiten leben - Comedy-Zeiten halt.
Das war im Deutschland der 1930er-Jahre ganz anders. Da hörte sich beim Humor der Spaß wirklich auf, denn er wurde mitunter lebensbedrohlich. Vor allem wenn Gestapo-Spitzel im Zuschauerraum saßen. Wie in der "Katakombe", jenem berühmten Kabarett im Berlin der Jahre 1929 bis 1935. Was da im schummrigen Keller des Vereins Berliner Künstler in der Bellevuestraße 3 dargeboten wurde, war so gar nicht nach dem Geschmack der Nazis. Künstler wie Rudolf Platte, Theo Lingen, Ursula Herking, Isa Vermehren, Ernst Busch, Hanns Eisler, Erich Kästner, Ivo Veit oder Erik Ode waren den braunen Herrn stets ein Dorn im Auge - sogar noch als die politisch engagierteren Leute wie Busch oder Eisler ausgestiegen waren und die "Katakombe" ein eher unpolitisches Kleinkunst-Varieté mit Chansons und Pantomimen wurde.
Als Conférencier beherrschte damals der Berliner Schauspieler Werner Finck die Kunst der kritischen Zwischentöne. Was von Finck nicht direkt ausgesprochen wurde, war oft viel bissiger als der offen formulierte Satz. Die Zuschauer verstanden die Wortspiele sofort. Nur die Spitzel hatten wenig Sinn für diesen Humor. "Kommen Sie mit? Oder muss ich mitkommen?" fragte Werner Finck eines Abends von der Bühne herab die Gestapo-Beamten im Publikum. Und die Herren schrieben fleißig mit: "16. April 1935: ‚Das Publikum in der ‚Katakombe‘ setzt sich in der überwiegenden Mehrzahl aus Juden zusammen, die den Gemeinheiten und der bissigen, zersetzenden Kritik des Conférenciers Werner Fink fanatisch Beifall zollen. Fink ist der typische frühere Kultur-Bolschewist, der offenbar die neue Zeit nicht verstanden hat oder jedenfalls nicht verstehen will und der in der Art der früheren jüdischen Literaten versucht, die Ideen des Nationalsozialismus und alles das, was einem Nationalsozialisten heilig ist, in den Schmutz zu ziehen`".
Wenige Wochen später, am 10. Mai 1935, ließ Joseph Goebbels, als Propagandaminister auch oberster Humorwächter im braunen Reich, die "Katakombe" von der Gestapo schliessen. Werner Finck und seine Kollegen wurden verhaftet und in das Konzentrationslager Esterwegen gesperrt. Wohl nur weil Göring seinem Widersacher Goebbels eins auswischen wollte, hat man Finck nach sechs Wochen wieder aus dem KZ entlassen. Die "Katakombe" blieb geschlossen und wurde durch ein Nazi-taugliches Kabarettprogramm ersetzt. Seinen Galgenhumor hat Finck jedoch nicht verloren. Als man ihm im Lager Esterwegen erlaubte, einen Kabarett-Abend zu veranstalten, gab er seiner Conférence im KZ den Titel:
"Keine Angst! Wir sind ja drin."