11. Juli 1905 Joan Newton Cuneo startet bei Autorennen in New York
Bleifüße können in zarten Pumps stecken. Hausfrau Joan Newton Cuneo beweist das, sie setzt sich in New York hinters Lenkrad eines Rennwagens und lässt die Herren der Schöpfung fürderhin Staub schlucken. Autorin: Ulrike Rückert
11. Juli
Montag, 11. Juli 2016
Autor(in): Ulrike Rückert
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Der Lack glänzte, das Messing blitzte in der Morgensonne - dreiunddreißig prachtvolle Automobile warteten am 11. Juli 1905 auf der Fifth Avenue in New York auf den Startschuss zur großen Rallye: zwölf Tage, eintausendvierhundert Kilometer nach Boston und zurück, über unbefestigte Landstraßen. Mit Schutzbrillen und Ledermützen hatten sich die Fahrer gegen Staub und Sonne gewappnet, nur hinter einem Steuerrad prangte ein ausladender Damenhut. Joan Newton Cuneo war die ganz und gar konventionelle Gattin eines Wall-Street-Bankers und Mutter von zwei kleinen Kindern, aber sie hatte eine große Schwäche: sie konnte keinem Automobil widerstehen.
Gattin gibt Gas!
Als sie sich für die spektakuläre Rallye anmeldete, wiesen die Gentlemen im Organisationskomitee sie indigniert ab. Doch die Lady mit dem Bleifuß setzte sich durch. Berühmt wurde sie schon am ersten Tag - weil sie in einen Graben fuhr. Sie hatte blitzschnell ausweichen müssen, weil ein anderer Fahrer vor ihr plötzlich bremste. Die Presse feierte ihre Geistesgegenwart, sie war der Star der Tour. Man staunte, wie die einen Meter fünfzig kleine Frau ihren schweren Wagen im Griff hatte. Siegen konnte sie allerdings nicht, weil die Veranstalter sie eine Bergetappe nicht mitfahren ließen: das sei zu gefährlich für eine Frau.
Aber es war der Beginn einer glänzenden Rennsportkarriere. Künftig war Joan Cuneo überall dabei, ob Wettfahrten auf Pferderennbahnen oder am Strand von Atlantic City (denn Autorennbahnen gab es noch nicht), Überlandrallyes oder Geschicklichkeitswettbewerbe auf Jahrmärkten. Sie stellte Rekorde auf, räumte Preise ab und brauste bei einem Achtzig-Kilometer-Rennen nur dreiundsechzig Sekunden nach Superstar Ralph de Palma ins Ziel. "Ich liebe mein Heim und meine Kinder, aber ich bin verrückt nach Geschwindigkeit", verriet sie einem Reporter. "Ich fürchte mich vor keinem Mann auf der Welt, wenn ich ein gutes Auto habe."
Frau am Steuer!
Und Joan Cuneo war keineswegs die einzige Frau im Temporausch. Schon in der Kinderzeit des Automobils fuhren Dutzende Frauen bei Rennen mit. Opel in Deutschland und Napier in England schickten sogar Werksfahrerinnen auf die Piste. Alice Ramsey, eine Hausfrau aus New Jersey, überquerte den ganzen Kontinent querfeldein, Autostraßen gab es ja noch nicht. Die Reaktionen waren gemischt. Fabrikanten machten Werbung damit: die pferdelose Kutsche war so sicher und bequem, dass sogar Frauen sie beherrschen konnten. Anderen schien die Ordnung der Geschlechter in Gefahr. "Es ist das Gefühl, eine starke Kraft zu meistern", sagte Joan Cuneo auf die Frage nach dem Reiz des schnellen Fahrens. "Das Gefühl, dass diese enorme Energie einer Bewegung deines Fingers gehorcht." Vertrug sich das etwa mit zarter Weiblichkeit?
Im Frühjahr 1909 verkündete der Automobilclub, unter dessen Ägide alle wichtigen Rennen der USA standen, dass künftig keine Frauen mehr an den Start gelassen würden. Das war nur einen Monat nach Cuneos Reifen-an-Reifen-Rennen mit Ralph de Palma. "Das war ein Schock für zu viele Männer", schäumte die schnellste Frau der Welt.