Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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12. September 1953 Dylan Thomas erobert New York

Dylan Thomas biss schon am Morgen in seinem walisischen Fischerdorf die Kronkorken von der Bierflasche, doch am Nachmittag wurde er zum Dichter. Am 12. September 1953 bezauberte er sogar New York.

Stand: 12.09.2013 | Archiv

12.09.1953: Dylan Thomas erobert New York

12 September

Donnerstag, 12. September 2013

Autor(in): Rainer Firmbach

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Thomas Morawetz

Wenn Dylan Thomas, dieser verkrachte Dichter, auf seiner allmorgendlichen Kneipentour durch Laugharne so richtig in Fahrt kam, war für die Leute in dem kleinen walisischen Fischerdorf etwas geboten! Hauptschauplatz des zügellosen Spektakels war das "Brown´s Inn" - eine von Bierdunst und Tabakrauch durchwaberte Spelunke. Deren Wirt hielt Dylan Thomas freilich für "komplett plemplem". Kein Wunder, bei all den skurrilen Auftritten, welche dieser verrückte Tausendsassa regelmäßig dort abgezogen hatte!

Ins Bein gebissen

Denn hatte der trinkfeste Poet sein obligatorisches Quantum an dem "Treibstoff Alkohol", wie er es flapsig zu nennen pflegte, einmal weg, dann gefiel er sich in spleenigen Kabinettstücken; zum Beispiel freiwillig die Kronkorken von den Flaschen zu beißen, wenn er dafür das Bier behalten durfte. Oder er "spielte den Hund", wie er es scherzhaft nannte: Mit wüstem Gebell schoss Thomas dann unvermutet hinter der Theke hervor und biss den Leuten rüde ins Bein.

Kaum aber ist es Nachmittag, verwandelt sich der versponnene Kneipenclown in einen seriösen Autor, der mit dem Wort kämpft. Während seine leidgeprüfte Ehefrau Caitlin in der Küche steht und von dem Fleisch, das der Metzger auf Pump herausgegeben hat, fettigen Eintopf kocht, lässt Dylan Thomas sich vom Blick aus dem Fenster eines windschiefen Holzschuppens inspirieren, der ihm als Dichterklause dient:

Er sieht die vorgelagerten Inseln und die Wolkengebirge, die über die grünen Küstenhügel ziehen. Schaukelnde Fischerboote. Den von Ebbe und Flut zerfurchten Strand. Muschelsucher, die ihre Säcke füllen. Kormorane, Reiher und Möwen, die nach Beute suchen. Und in den teerschwarzen Nächten, wenn der Sturm, der wilde Reiter, um die Klippen heult, lauscht er schlaflos dem Rollen und Stampfen der tosenden See.

Aus London ist Dylan Thomas schon vor Monaten weggezogen. Sein zügelloses Bohemeleben in der hektischen Weltstadt hat ihn vom Schreiben abgehalten. Weil die Dylans arm sind wie die Kirchenmäuse, hausen sie in Laugharne in einem heruntergekommenen Haus, wo die Fäulnis aus den klammen Tapeten sprießt.

Unvergesslicher Augenblick

Seinen ungeheuren Glauben an sich selbst verliert der extrovertierte Dichter auch in den folgenden Jahren nicht. Der Erfolg gibt ihm schließlich Recht: Als Dylan Thomas, am 12. September 1953, im "Poetry Center" in New York, auf unnachahmliche Weise sein wohl berühmtestes Gedicht vorträgt, erobert er dort die Herzen des Publikums im Sturm, wird zum gefeierten Superstar. Das wortgewaltige Poem trägt den Titel: "Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben!" In geradezu biblischen Bildern beschwört Dylan Thomas mit dieser Realutopie des Lebens die Unsterblichkeit der Liebe. 

Nicht wenige unter den Zuhörern bekamen dabei, wie Zeitungsreporter später berichteten, eine Gänsehaut; manche sprachen gar von einem jener seltenen Augenblicke, die man ein Leben lang nicht mehr vergisst. Denn Thomas kam, sprach und siegte. Am Ende, so wird erzählt, saßen Tausend Zuhörer schweigend da, als würde der kleinste Klatscher den Zauber brechen. Aber als das Licht anging, donnerte der Applaus los, und das Publikum gab stehende Ovationen. Nach dem 15.Vorhang trat Dylan Thomas dann endlich ganz nach vorne. Da stand er: Im schäbigen Wollparka, mit zerzaustem Haar, jungenhaft in seiner fröhlichen, aufgeregten Bescheidenheit, und wie jeder wirkliche Dichter: hoffnungslos einsam.


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