16. August 1908 "Hauptmann von Köpenick" aus Haft entlassen
Ein unbekannter preußischer Hauptmann ließ die Stadtkasse von Köpenick beschlagnahmen. Es war Schneider Voigt, der als Hauptmann von Köpenick für Gelächter sorgte. Am 16. August 1908 wurde er wieder aus der Haft entlassen.
16. Juni
Sonntag, 16. Juni 2013
Autor(in): Herbert Becker
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Nicole Ruchlak
Robin Hood war ein Gesetzloser, aber einer, den das Volk liebte. Nicht nur, dass er die Bedürftigen mit irdischen Gütern beschenkte, die er den Reichen abnahm, er gab ihnen auch die Hoffnung, es könne vielleicht doch so etwas wie Gerechtigkeit existieren. Ein Held ganz anderer Art ist der brave Soldat Schwejk. Er ist kein Gesetzloser, er nimmt es im Gegenteil mit der Ausführung von Befehlen und der Erfüllung seiner Pflichten derart genau, dass die Absurdität dessen, was man ihm auferlegt, überdeutlich zutage tritt. Damit fliegen auch ihm die Herzen der kleinen Leute zu.
Ließen sich volkstümliche Helden in bestimmte Kategorien einteilen, so würde ungefähr in der Mitte zwischen Robin Hood und Josef Schwejk der Hauptmann von Köpenick rangieren. Wie der Mann aus dem Sherwood Forest war er ein Gesetzloser, und wie der Schelm aus Prag hat er das Militär - und die Obrigkeit überhaupt - lächerlich gemacht. Alle drei sind sie Gegenstand von Romanen und Filmen, Hörspielen und Theaterstücken, und nur in einem Punkt unterscheidet sich der Hauptmann von Köpenick deutlich von seinen beiden ... nun ja - Kollegen: Er hat ein reales Vorbild. Den Schuhmacher Friedrich Wilhelm Voigt.
Voigt kam aus kleinen Verhältnissen, und vielleicht begann er wirklich aus schierer Not zu stehlen. Jedenfalls wurde er mit vierzehn zum ersten Mal wegen Diebstahls verurteilt. Auch danach brachten ihm Eigentumsdelikte und Urkundenfälschungen jahrelange Haftstrafen sowie Aufenthaltsverbote ein. Denkbar, dass er tatsächlich zuletzt trotz bester Absichten nicht mehr Fuß fassen konnte und gezwungen war, sich auf illegale Weise durchzubringen.
So oder so - im Oktober 1906 besorgte er sich in Berlin eine Uniform und trat, verkleidet als preußischer Hauptmann des 1. Garde-Regiments zu Fuß, vor einen Trupp Soldaten. Er unterstellte die Männer auf - wie er behauptete - allerhöchsten Befehl seinem Kommando und bestieg mit ihnen die Stadtbahn in das nahe gelegene Städtchen Köpenick.
Nachdem er ihnen ein Bier und ein Mittagessen spendiert hatte, ließ er sie das Rathaus besetzen, verhaftete "im Namen Seiner Majestät" den Bürgermeister und den Oberstadtsekretär und erklärte, die Stadtkasse beschlagnahmen zu müssen. Über die 3557 Mark 45, die ihm der Kassenverwalter übergab, stellte Voigt ordnungsgemäß eine Quittung aus ... das heißt, "ordnungsgemäß" ist insofern nicht ganz das richtige Wort, als er den Namen seines letzten Gefängnisdirektors unter das Dokument setzte. Im Köpenicker Bahnhofsrestaurant gönnte sich der Hauptmann noch ein Helles, dann fuhr er nach Berlin zurück. Bereits zehn Tage später wurde er verhaftet; das Gericht verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren Gefängnis - doch ganz Deutschland bejubelte seinen Streich."
"Der Held von Köpenick", schrieb die Berliner Volks-Zeitung, "hat den Zeitgeist richtig erfasst. ... Der Sieg des militärischen Kadavergehorsams über die gesunde Vernunft ... das ist es, was sich ... in der Köpenicker Komödie in grotesk-entsetzlicher Art offenbart." Sogar Kaiser Wilhelm II. zeigte sich amüsiert und begnadigte Voigt. Am 16. August 1908 wurde der "Eulenspiegel des wilhelminischen Militärstaats", wie ihn ein Historiker nannte, vorzeitig aus der Haft entlassen.
Eulenspiegel! Natürlich! Das ist der Held, dem der Hauptmann von Köpenick am nächsten steht. Schließlich hat er sich nicht nur ins Herz der kleinen Leute geschwindelt, sondern einer ganzen Gesellschaft den Spiegel vorgehalten.