16. November 1329 Der Papst zum Streit über die Armut
Hatten nun Christus und die Apostel Eigentum oder nicht? Im Mittelalter war das die große Streitfrage zwischen Franziskanern und der Kirche in Rom. Am 16. November 1329 gab Papst Johannes XXII. in einer Bulle Bescheid, wie es war.
16. November
Mittwoch, 16. November 2011
Autor(in): Christian Feldmann
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Redaktion: Thomas Morawetz
Mit den großen Idealen ist das so eine Sache. Ganz am Anfang ist der Traum noch frisch und die Idee rein und unschuldig. Aber es dauert nicht lange, da schleicht sich die Realität heran wie ein tückischer Bazillus und infiziert den schönen Traum von einem besseren Leben mit ihren Sachzwängen und Rücksichtnahmen.
Vom „Reich der Freiheit“ schwärmte der junge Marx; hundert Jahre später ließen seine politischen Erben Panzer gegen Abweichler im eigenen Lager rollen. Die Zerschlagung der Konzerne und die scharfe Kontrolle der Banken forderte die CDU in ihrem ersten Parteiprogramm 1947; was daraus geworden ist, darüber breiten wir lieber den Mantel des Schweigens. Und Jesus von Nazaret schickte seine Jünger mit der Mahnung zur Armut auf Predigtreise: „Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche!“ Päpste und Kardinäle präsentierten sich später als Nachfolger der bedürfnislosen Wanderapostel - und verwandelten den Vatikan in einen Tempel des Luxus.
Franz von Assisi - Besitz bringt Unfrieden
Zum Glück gibt es immer wieder Querköpfe, die urplötzlich die Fackel der vergessenen Ideale neu entzünden. Was für die marxistischen Betonköpfe des 20. Jahrhunderts der „Prager Frühling“ war und für die CDU eine Zeitlang Heiner Geißler, das waren für die machtverliebte Kirche des 13. Jahrhunderts die eben erst gegründeten Franziskaner. Eine neue Zeit kündigte sich an, das Geld ersetzte die Naturalwirtschaft, die Bürger der Städte emanzipierten sich von Grafen und Bischöfen, die Habenichtse begehrten gegen die Besitzenden auf.
Und Francesco von Assisi, ein Aussteiger von unerhörtem Charisma, lehnte für seinen Orden radikal jedes Eigentum ab. Die Brüder sollten weder Häuser noch Vorräte besitzen und kein Geld annehmen, höchstens Brot, Milch und Eier. Als sich der Bischof von Assisi darüber wunderte, argumentierte Franziskus: „Herr, wenn wir Eigentum hätten, bräuchten wir auch Waffen zu unserer Verteidigung. Denn daraus kommen ja alle Streitigkeiten und Händel.“
Natürlich ersetzte man bald auch hier - spätestens als Franziskus tot war - die radikale Entscheidung durch den dehnbaren Kompromiss. Der Ordensbesitz wurde zum Eigentum der römischen Kirche erklärt beziehungsweise von Personen außerhalb des Ordens verwaltet, so konnten die Brüder ein recht angenehmes Leben führen und galten doch juristisch als Bettler. Eine gar nicht so kleine Fraktion im Orden freilich, die Zelanti oder Spiritualen, hielt am Armutsideal des Stifters fest. Die Päpste unterstützten die Zelanti, in seltenen Fällen, durch wortgewaltige Bullen - oder machten ihnen das Leben zur Hölle, das war leider die Regel.
Der Papst - Eigentum gab´s schon im Paradies
Der Streit eskalierte, als 1318 fünf hartnäckige Verfechter des Armutsgelübdes in Marseille auf dem Scheiterhaufen landeten. 1323 erklärte Papst Johannes XXII. die Behauptung, Christus und die Apostel hätten kein Eigentum besessen, für ketzerisch. Die denkwürdige Begründung: Schon im Paradies habe Gott den Menschen die Tiere und Pflanzen zum Eigentum gegeben. Und: Die Nutzung von Verbrauchsgütern wie Nahrung und Kleidung führe ja letztlich zu ihrer Vernichtung. Noch eins drauf setzte der Papst mit der Bulle „Quia vir reprobus“ vom 16. November 1329: Jesus habe ganz sicher Eigentum besessen, da ja laut göttlichem Recht den Gerechten alles gehöre.
Damit war die endgültige Spaltung des Ordens in einen angepassten Zweig und eine Extremistenfraktion vorprogrammiert. Und die römische Kirchenzentrale? Die hob, von den Armutspredigern verschreckt, kurz den Kopf - und machte dann weiter wie bisher.