18. September 1868 Henrietta Vansittart erhält Patent auf Schiffsschraube
Auf Gemälden tragen sie zarte Handschuhe. Im Alltag aber haben sich viktorianische Frauen durchaus die Finger schmutzig gemacht. Wie sonst wäre Henriette Vansittart am 18. September 1868 an ein Schiffsschrauben-Patent gekommen?
18. September
Donnerstag, 18. September 2014
Autor(in): Ulrike Rückert
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Julia Zöller
Eine viktorianische Lady trug Krinolinenröcke von der Breite eines Scheunentors, stickte hübsche Muster auf Sofakissen und nippte beim Teekränzchen ihren Darjeeling anmutig aus feinem Porzellan. Sie brütete nicht über technischen Konstruktionszeichnungen und tüftelte nicht an Modellen großer Maschinen herum.
Aber Henrietta Vansittart tat genau das - und noch erstaunlicher ist, dass man sie völlig ernst nahm. Am 18. September 1868 erhielt die Britin ein Patent für eine Schiffsschraube, wenige Monate später testete die Royal Navy ihren Propeller, und bald fuhren englische Kriegsschiffe und Ozeandampfer damit über die Meere.
Patent ist die Frau ...
Tatsächlich war Henrietta Vansittart nur eine von vielen.
Das 19. Jahrhundert war das goldene Zeitalter der Erfinder. Industriemaschinen, Eisenbahn, elektrisches Licht, Telegraph, Telefon und Automobil katapultierten die Welt in eine neue Epoche. Hunderttausende nicht ganz so spektakuläre Erfindungen trieben die Industrialisierung voran und veränderten das Alltagsleben - und Frauen mischten eifrig mit. Dass sie zu Universitäten keinen Zutritt hatten, war nicht die größte Hürde, denn auch die männlichen Konkurrenten waren nur selten studierte Ingenieure.
Henrietta Vansittarts Vater zum Beispiel war ein Mechaniker, der automatische Bratspieße baute. Er entwickelte eine der ersten funktionierenden Propellerschrauben für Dampfschiffe, und seine Tochter half ihm schon als Teenager bei seinen Versuchen. Sie war sogar dabei, als ein Kanonenboot der Marine seine Erfindung ausprobierte. Experimente und Prozesse fraßen sein ganzes Geld auf. Als ihn in London ein Fuhrwerk überrollte und zerquetschte, besaß er nur noch ein paar Pfund.
Aber Henrietta Vansittart wusste alles über Dampfschiffantriebe. Ehrgeizig arbeitete sie weiter, verbesserte die Schraube entscheidend und erhielt ihr eigenes Patent. Stolz präsentierte sie ihren Propeller auf internationalen Ausstellungen und heimste reihenweise Auszeichnungen ein. Bei der Weltausstellung von 1876 in Philadelphia traf sie auf rund achtzig Kolleginnen in einem eigenen Frauenpavillon.
Tausende Patente wurden im Laufe des Jahrhunderts an Frauen vergeben:
für die Kreissäge und die Vakuumkonservierung, für nautische Leuchtsignale, einen Industriebackofen, Eisenbahnkupplungen, eine Feuerlöschanlage, Maschinen zum Flaschenbefüllen und zum Bonbonverpacken, eine Beinprothese mit Kniegelenk und ein Bewässerungssystem - um nur eine kleine Auswahl zu nennen.
... aber nicht geschäftsfähig
Dass Frauen dennoch eine winzige Minderheit blieben, lag wie so vieles am Geld und an der Moral. Für Josephine Cochran, die Erfinderin des Geschirrspülers, war nicht die Technik das Problem: Auf dem Weg zu einer Geschäftsbesprechung allein eine große Hotellobby zu durchqueren, erzählte sie einem Reporter, sei das Schwierigste gewesen, was sie je getan habe. Denn eine Dame lief nicht allein in der Öffentlichkeit herum. Und verheiratete Frauen waren in vielen Staaten vom Geschäftsleben ausgesperrt, weil sie kein eigenes Vermögen besitzen und keine Verträge abschließen konnten.
Manche Frauen wurden steinreich durch ihre Erfindungen. Henrietta Vansittart musste sich mit dem Respekt der Fachwelt begnügen. Als sie 1883 starb, bescheinigte ihr die Vereinigung der Ingenieure und Konstruktionszeichner im Nachruf nochmal "großes Wissen in technischen Dingen".