19. Februar 1919 Marie Juchacz spricht vor Parlament
Mit 14 Jahren arbeitete Marie Juchacz als Dienstmädchen, später kämpfte sie für die politischen Rechte der Arbeiter und Frauen. Am 19. Februar 1919 hielt sie als erste Frau eine Rede vor einem deutschen Parlament.
19. Februar
Donnerstag, 19. Februar 2015
Autor(in): Birgit Magiera
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Angela Smets
Redaktion: Susi Weichselbaumer
"Ich möchte hier feststellen ( ... ): Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist. ( … ) Und ich betrachte es als eine Selbstverständlichkeit, dass ( … ) die Frau als gleichberechtigte und freie Staatsbürgerin neben dem Manne stehen wird."
Klare Worte der SPD-Abgeordneten Marie Juchacz vor der Weimarer Nationalversammlung am 19. Februar 1919. Es ist die erste Rede einer Frau vor einem deutschen Parlament.
Unerhört! - Eine Scheidung
Erst kurz zuvor war den Frauen in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht zugestanden worden. Damit hatte die Frauenbewegung nach langem Kampf ein großes Ziel erreicht, und mitgekämpft hatte auch Marie Juchacz. Sie war nicht nur Frauenrechtlerin, sondern vor allem eine engagierte Sozialdemokratin. Der Vater Schreiner, die Mutter Arbeiterin in einer Müllerei - wenn sie in ihren politischen Reden von den alltäglichen Plagen der Arbeiterklasse sprach, schöpfte sie aus den eigenen Lebenserfahrungen. Schon als 14-Jährige arbeitete Marie als Dienstmädchen, später in einer Fabrik, als Krankenschwester und schließlich in der Schneiderei ihres Mannes.
Im Unterschied zu den meisten anderen Frauen ihrer Zeit fügte sie sich aber nicht in ihr Schicksal, sondern tat Unerhörtes: Sie ließ sich von ihrem Mann scheiden, und zusammen mit ihren beiden Kindern - der zweijährigen Lotte und Baby Paul - verließ sie 1906 ihr ostdeutsches Heimatnest in der Provinz und ging ins große Berlin! Dort, in Berlin, war die Freiheit, dort war die Möglichkeit, sich politisch zu betätigen und Gleichgesinnte zu finden. Sobald es Frauen erlaubt war, traten Marie und ihre Schwester Elisabeth 1908 in die SPD ein.
Die Schwestern lebten mit ihren Kindern in einer Wohngemeinschaft zusammen, verdienten ihren Lebensunterhalt in Heimarbeit und brannten beide leidenschaftlich für ihre politische Arbeit - die Rechte der Frauen und Arbeiter. Immer öfter wurden Marie und Elisabeth gebeten, auf Frauenversammlungen Reden zu halten.
Arbeiterwohlfahrt, kurz AWO
Nach dem ersten Weltkrieg holt Reichspräsident Friedrich Ebert Marie in den Parteivorstand der SPD. Der Krieg und die allgemeine Not danach hatten ihr noch einmal eindrücklich klar gemacht, dass in schlechten Zeiten die Ärmsten immer am meisten leiden. Im Dezember 1919 gründet sie deshalb einen Verein zur Selbsthilfe und Fürsorge der Arbeiterschaft: die Arbeiterwohlfahrt, kurz AWO.
Da ist sie bereits eine von 37 weiblichen Abgeordneten in der Weimarer Nationalversammlung. Nur wenige Jahre später ist die AWO eine mächtige Organisation mit fast zweitausend Ortsgruppen. Doch der stärker werdende Einfluss der NSDAP bedroht die politische und soziale Arbeit der Sozialdemokratin. In ihrer letzten Rede als Abgeordnete, im Februar 1932,
ein Jahr vor Hitlers Machtergreifung, ruft Marie Juchacz auf zum Kampf gegen den Faschismus.
Bald flieht sie auf abenteuerlichen Wegen mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten über Frankreich, Spanien und die Karibik nach New York.
Und selbst noch dort, in Amerika, lässt sie nicht nach in ihrem sozialen Engagement: Sie gründet die Arbeiterwohlfahrt USA. Wieder zurück in Deutschland wird die mittlerweile 70jährige Ehrenvorsitzende der AWO.
Nach Marie Juchacz sind in mehreren Städten Straßen benannt. Die Post hat sie gleich auf zwei Briefmarken verewigt, einmal noch zu D-Mark-Zeiten, zuletzt auf der ein-Euro-Marke.