6. April 1974 ABBA gewinnt mit Waterloo den Grand Prix Eurovison
Waterloo wurde der erste Millionenseller von ABBA, nachdem sie damit den Eurovision Song Contest gewonnen hatten. 2005 wurde das Lied beim 50. ESC zum "Besten Lied in der Geschichte des Wettbewerb" gekürt. 2004 erreichte Waterloo bei seiner Wiederveröffentlichung zum 30. Jubiläum Platz 20 der britischen Charts. Autorin: Julia Zöller
06. April
Donnerstag, 06. April 2023
Autor(in): Julia Zöller
Sprecher(in): Christian Baumann
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Sehr viele dunkle Brillengestelle sind am 6. April 1974 im Halbrund des Konzertsaals in Brighton versammelt. Sie sitzen auf den Nasen ernsthafter Herren mit Kotletten und dezent gekleideter Damen mit Föhnfrisuren.
Das Live-Orchester spielt eine muntere Melodie, höflicher Applaus. Moderatorin Katie Boyle schreitet in Lachsrosa auf eine beige-pink ausgeleuchtete Bühne, Kameras schwenken. "Good evening ladies and gentleman." Der Eurovision Song Contest aus Brigthon, Großbritannien, hat begonnen.
Wie jedes Jahr?
Die kommenden 32 Minuten des 19. ESC stellen sich als "The same procedure as every year." heraus. Bisschen Schlager, bisschen kess, manchmal Herzschmerz und die Spanier mit Gitarre. Höflicher Applaus. Niemand tanzt. Dann aber kommt die 35. Minute des ESC. Ein neuer Dirigent tritt auf, er hat ein freches Uniformjäckchen an, auf dem Kopf sitzt ein Zweispitz. Der sieht ja aus wie…da legt er auch schon los. Viervierteltakt, hohes Tempo, treibender Beat. Auftritt Schweden. Der Gitarrist trägt silberne Plateaustiefel und einen hautengen blauen Samtanzug. Zwei junge Frauen joggen zum Bühnenrand, die eine weißblond, die andere mit rotbraunen Locken. Beide lächeln und glitzern. Die langen Mikrofonkabel schlagen muntere Wellen.
Die Regie blendet den Bandnamen ein: "Abba". Als die Frauen mit durchdringenden Stimmen einsetzen, vernehmen aufmerksame Zuschauerinnen und Zuschauer die für einen Popsong sehr ungewöhnlichen ersten Worte: "At Waterloo, Napoleon did surrender ....Oh yeah." Auf Deutsch: In Waterloo hat Napoleon aufgegeben, oh yeah.
Wobei: Surrender kann auch das militärische kapitulieren bedeuten. Benny Andersson, eines der Bs von Abba, der den Text von "Waterloo" geschrieben hat, ist kein Native-Speaker. Im Zusammenhang mit Waterloo heißt es nämlich auch häufig: Napoleon was defeated. Napoleon wurde besiegt, damals, im Juni 1815. Surrender singt sich natürlich besser.
Near Waterloo
Aber: Ein "letter of surrender", ein Kapitulationsbrief an den Prinzregenten des Vereinigten Königreiches (und späteren König Georg IV), existiert tatsächlich. Gut verwahrt liegt der Brief in den Archiven der Queen. Napoleon hat ihn Mitte Juli 1815 geschrieben, vier Wochen nachdem seine Soldaten von den Truppen der Alliierten so schmählich "defeated" worden waren. Streng genommen hätten Abba ihren Song überhaupt anders anfangen müssen. "At Waterloo" ist nämlich geographisch unpräzise. Die berühmte Schlacht fand nicht "at", sondern bei dem Ort Waterloo im heutigen Belgien statt. Also "near Waterloo". Das Schlachtfeld gehört zur Gemeinde Braine l’Alleud. Also wenn schon At, dann bitte: "At Braine l‘ Alleud Napoleon did oder was" und so weiter.
So genau hat an diesem 6. April 1974 beim ESC, beziehungsweise in den Jurys von Malta bis Jugoslawien, wohl niemand zugehört. Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid von Abba, die so viel bessere Laune verbreiten als die meisten anderen Bands, erleben in Brigthon, um bei Napoleon zu bleiben, ihr persönliches "Austerlitz". Verdient gewinnen sie den 19. Eurovision Song Contest mit „Waterloo“, einem Song, in dem es eigentlich um Liebe geht. Auch die kann ein Schlachtfeld sein.