Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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16. Januar 1881 Carl Hagenbecks sogenannte Eskimo-Schau endet im Desaster

Mit der Idee, Menschen im Zoo auszustellen, machte Carl Hagenbeck, Tierhändler und Zoogründer aus Hamburg, ein Vermögen. Er versprach seinen Darstellern "unvergessliche Abenteuer". Doch von der in Neufundland angeworbenen Inuit-Familie kehrte niemand in die Heimat zurück. Autorin: Prisca Straub

Stand: 16.01.2025

16.01.1881: Carl Hagenbecks sogenannte Eskimo-Schau endet im Desaster

16 Januar

Donnerstag, 16. Januar 2025

Autor(in): Prisca Straub

Sprecher(in): Irina Wanka

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Ulrike und Abraham erfüllen alle gewünschten Auswahlkriterien: Die beiden Inuit von der Labrador-Halbinsel an der nordamerikanischen Atlantikküste sind handwerklich begabt - sie können die Harpune werfen und Kajak fahren. Sie haben zwei niedliche, kleine Töchter - und außerdem Schulden bei der christlichen Missionsstation. Ausgezeichnet! Die perfekte Konstellation für Carl Hagenbeck! Der Hamburger Unternehmer ist auf der Suche nach geeigneten Darstellern für seine sogenannte "Eskimo-Schau". Das europäische Publikum ist wild nach "Exotik" - und Angehörige außereuropäischer Völker in Zoologischen Gärten zu präsentieren, ist für den Tierhändler eine zusätzliche Einnahmequelle. - Dann die Überfahrt: Die frisch angeworbenen Protagonisten mögen unbedingt ihre Schlittenhunde mitbringen! Und die Hosen aus Robbenfell!

Im Menschen-Zoo

Die Europa-Tournee der vierköpfigen Inuit-Familie beginnt im Hamburger Tierpark Hagenbeck. Doch den Gästen vom Polarkreis wird schnell klar: Das Schausteller-Geschäft hatten sie sich anders vorgestellt: Das Geschrei des Publikums ist ohrenbetäubend, geregelte Arbeitszeiten fehlen. Ulrike und Abraham paddeln auf einem künstlichen Tümpel umher, hantieren mit Seehundfallen und Schneemessern. Rückzugsgelegenheiten für die vierjährige Sara und für Maria, zehn Monate alt, fehlen. Mehrfach stürmen Besucher ihre Behausung. Sara fühlt sich krank, die Auftritte gehen weiter.

Ausgestellt und vermessen

Der Tourenplan ist straff organisiert, eine Unterbrechung ist ausgeschlossen: In Berlin stehen nicht nur Schaueinlagen im Zoologischen Garten auf dem Programm, die Darsteller aus dem hohen Norden werden auch dem Mediziner Rudolf Virchow vorgeführt. Der berühmte Professor besitzt eine umfangreiche Schädelsammlung aus allen Teilen der Welt. Jetzt will er unbedingt die Gelegenheit nutzen, auch die Völkerschau-Teilnehmer zu begutachten - und präzise zu vermessen: Schädelmerkmale, die Tönung der Haut, die Textur der Haare, der Schnitt der Augen. Virchow dokumentiert: ein "kultivierter Zustand".

Nach der Rückkehr aus Prag klagt die Familie über Unwohlsein, die vierjährige Sara hat Fieberschübe. Das Engagement abzubrechen, kommt nicht infrage. So lassen Ulrike und Abraham ihre Tochter in einem Krankenhaus in Krefeld zurück - und reisen weiter zu ihrem Auftritt nach Paris. Das Kind hat schweren Ausschlag mit nässenden Pusteln - und stirbt zwei Tage später. Die Diagnose: Pocken. Offenbar hatte Hagenbeck versäumt, seine angeworbenen Schausteller rechtzeitig impfen zu lassen.

Und auch der Rest der Familie hat nur noch wenige Wochen zu leben: Als nächstes stirbt Tochter Maria, dann Abraham; drei Tage später, am 16. Januar 1881, auch Ulrike, das letzte Familienmitglied, auf einer Isolierstation in Paris. Völkerschau-Unternehmer Carl Hagenbeck zeigt sich betrübt, möchte mit der Tragödie aber nicht weiter behelligt werden. Rudolf Virchow hingegen lässt sich den Schädel der kleinen Sara nicht entgehen. Jahre später hat er sie für seine Sammlung wieder ausgraben lassen.


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