26. August 1854 Charles Bourseul erfindet (fast) das Telefon
Eine elektrische Übertragung der menschlichen Stimme? Was für eine absurde Idee, meinte man zu Charles Bourseul und verhinderte damit erstmal die Erfindung des Telefons. Die kühne Vision war ihrer Zeit einfach zu weit voraus. Für Alexander Graham Bell und Thomas Alva Edison wurde sie zur "Inspirationsquelle". Autor: Hellmuth Nordwig
26. August
Montag, 26. August 2024
Autor(in): Hellmuth Nordwig
Sprecher(in): Caroline Ebner
Redaktion: Frank Halbach
Wer Visionen hat, der sollte bekanntlich zum Arzt gehen. Gerade auf junge Männer trifft das zu: Die vergeuden ihre Zeit manchmal mit Ideen, die wirklich kein Mensch braucht. Manche sind ihrer Zeit aber einfach voraus. Zum Beispiel Charles Bourseul. 25 Jahre ist er alt, als er 1854 eines dieser Hirngespinste formuliert: einen "Apparat, um sich aus der Entfernung zu unterhalten". Wie soll das denn gehen? Die spinnen, die Belgier, werden sie sich in Frankreich gedacht haben, mindestens dieser Bourseul, der in Brüssel geboren wurde. Und was sollen wir damit – wir können doch schon seit zehn Jahren diese Piepzeichen senden, die Samuel Morse in den USA erfunden hat! Und damit in Nullkommanix ein Telegramm verschicken! Konzentrieren Sie sich lieber auf Ihre Arbeit, junger Mann, meint sein Chef, schließlich ist das hier das französische Telegrafenamt - und murmelt noch "auch wenn Sie ein harmloser Narr sind".
Verwegene Idee
Bourseul hat am 26. August jenes Jahres in der Pariser Zeitschrift "L'illustration" wirklich eine verwegene Idee vorgestellt: Nehmen wir an, jemand spricht in der Nähe einer hauchdünnen Scheibe, die so beweglich ist, dass sie die Schwingung der Stimme aufnimmt. Und diese Scheibe, schreibt er weiter, ordnet man so an, dass sie je nach der Vibration einen Stromkreis schließt oder unterbricht. Dann müsste es möglich sein, das Gesagte in Stromsignale zu übersetzen. Und die an einer beliebigen anderen Stelle wieder zurück in die ursprüngliche Stimme. "Ich bin sicher", meint Charles Bourseul wörtlich, "dass in ferner oder naher Zukunft Sprache durch Elektrizität übertragen wird". Technische Visionen sind zu der Zeit an der Tagesordnung, und "L'illustration" ist voll davon.
Nach seiner Meinung hat Bourseul vielversprechende Experimente zur "Telephonie" gemacht, wie er das Ganze bezeichnet. Ja, die Scheibe vibriert tatsächlich in dem Rhythmus, in dem er spricht, und auch die elektrischen Signale kann er messen. Die wieder in Sprache zu übersetzen, das klappt aber nicht. Zeitzeugen berichten von einem grauenhaften Geräusch, bei dem nichts zu verstehen ist.
Das verkannte Genie
Niemand will Bourseul Geld dafür geben, dass er seine Idee weiterverfolgt. Damals erscheint sie viel zu abwegig. Er konzentriert sich also, wie befohlen, auf seine Arbeit und macht Karriere. Bis zum Chef der französischen Post und Telegrafie bringt er es. Doch bis dahin ist seine Vision längst Wirklichkeit geworden: Sieben Jahre nach dem Aufsatz in "L'illustration" konstruiert Philipp Reis in Deutschland eine ganz ähnliche Vorrichtung wie Bourseul. Und da kommt tatsächlich verständliche Sprache heraus. So wie bei Alexander Graham Bell, der dem Telefon in den USA zum Durchbruch verhilft. Bell bezeichnet Bourseul als "Inspirationsquelle", Thomas Alva Edison nennt ihn sogar ein "verkanntes Genie".
Davon hat Charles Bourseul aber kaum etwas. Mehr als 50 Jahre nach seiner Idee bewilligt ihm der Generalpostmeister zwar eine höhere Pension, um die Erfindung anzuerkennen, doch schon ein paar Jahre später stirbt der Vordenker des Telefons. Das Leben bestraft eben manchmal auch diejenigen, deren Visionen zu früh kommen.