5. Oktober 1989 In Deutschland findet der erste Lange Donnerstag statt
Ich kaufe, also bin ich. Dieser Selbstverwirklichung stand in Deutschland von jeher das Ladenschlussgesetz im Weg. Und daher erfand man zunächst einmal den Langen Donnerstag. Autor: Christian Jungwirth
05. Oktober
Montag, 05. Oktober 2020
Autor(in): Christian Jungwirth
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
SCHLADO. Zugegeben, es liegt nah, bei diesem Begriff spontan an aufwendig beworbene Konfekt-Leckerlis im Supermarkt zu denken. Oder an x-beliebige Heldengestalten erfolgreicher Fantasy-Filmserien. Gegenangebot: denken wir bei SCHLADO lieber an die wenig bekannten Helden des schnöden Alltags! Denn genau das sind sie: tapfere Verkäuferinnen und Verkäufer, Apothekerinnen und Apotheker, Supermarktkassiererinnen und Supermarktkassierer…
Sch… langer Donnerstag!
Die haben am 5. Oktober 1989 Versuchskarnickel spielen dürfen – oder besser müssen. Da wurde nämlich dieser SCHLADO, der – sorry – "Scheiß Lange Donnerstag" bundesweit eingeführt. Den Kosenamen hat der offizielle "Dienstleistungsabend" beim Personal überall schnell weg. Gut vier Wochen vor dem Berliner Mauerfall stürmen an jenem Donnerstagabend Kaufwillige zwischen Flensburg und Bad Reichenhall Hufe scharrend die Geschäfte. Und sacken ein, bis der Arzt kommt und die Kasse sauber klingelt. Das ist erklärter Wille der Initiatoren. Bis dato muss der Handel qua Ladenschlussgesetz von 1956 seine Türen wochentags Punkt 18 Uhr 30 verriegeln. Wer später kommt, schaut konsumtechnisch mit dem Ofenrohr ins Gebirge. Und das soll, wenn es nach Kirchen und Gewerkschaften geht, auch so bleiben. Aber: der Mensch kauft halt für sein Leben gern ein, und die hohe Politik flüstert es ihm zudem periodisch ins Ohr: Konsumieren hilft der Wirtschaft! Die muss wachsen, ergo auch die Kauflaune der Verbraucher. Und bitteschön: satte 120 Minuten pro Woche mehr Zeit, durch Parfum-Tempel, Dessous-Shops, Klamottenketten-Hallen und Gartencenter zu flanieren… Vielleicht sind ja gerade das die zwei Stunden, um Dinge des nicht alltäglichen Wollens zu erstehen. Deutschland tastet sich vor, stets lüstern den Blick übern Großen Teich gerichtet. Dort, bei Big Brother, gibt es bekanntlich kein Ladenschlussgesetz. Soweit wird’s bei uns dann doch nicht kommen. Auch ist Solidarität mit dem Ladenpersonal im Spiel. Ein Soli-Button fürs Revers mit dem Slogan: "Ich kaufe nur bis 18 Uhr 30" macht schnell die Runde.
Und immerhin: es muss ja keiner mitmachen, weder auf Kunden- noch auf Händlerseite. Der Kunde hat die Wahl, das Personal - leider die Qual. Und manche Duftwasser-Fachkraft verweilt, weil es der Chef so will, zwei Stunden länger im Dunstsumpf schwerer Patschuli-Noten.
Nichts genaues weiß man nicht
Aber warum justament der Donnerstag-Abend? Umsatzfördernd vielleicht, weil so passend kurz vorm Wochenende? Man weiß es nicht genau. Was man weiß, ist: die Sache schlägt ein wie eine Bombe. Die Innenstädte sind proppenvoll, die Umsätze schnalzen bis zu 20 Prozent in die Höhe. Rund 340 Lange Donnerstage steht sich fortan bundesweit in Ost und West das Personal die Beine in den Bauch, sortiert abends Ware, lagert sie um und wartet und wartet… Dann schlägt der Gesetzgeber erneut zu: der letzte SCHLADO geht am 31. Oktober 1996 über die Bühne. Und macht am 1. November Platz für ein neues Ladenschlussgesetz. Das rutscht in die Hoheit der Länder und zementiert den Status quo: Montag bis Freitag von 6 bis 20 Uhr freie Auswahl! Später springt noch der Samstag mit ins Boot… Wie sinnierte doch einst Albert Einstein: Die besten Dinge im Leben sind nicht die, die man für Geld bekommt.