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12. Februar 1888 Jacob Riis macht Reklame für seine Fotos

Einer der bedeutendsten Pioniere der sozialdokumentarischen Fotografie: Jacob August Riis. Thema seiner Reportagen waren die East-Side-Slums von Manhattan. Aufgrund noch nicht gut entwickelter Drucktechnik bekamen Riis‘ erst lange nach seinem Tod die Anerkennung, die sie verdienen. Autorin: Ulrike Rückert

Stand: 12.02.2025

12.02.1888: Jacob Riis macht Reklame für seine Fotos

12 Februar

Mittwoch, 12. Februar 2025

Autor(in): Ulrike Rückert

Sprecher(in): Christian Baumann

Redaktion: Frank Halbach

Eine siebenköpfige Familie in einem kleinen Zimmer, in dem sie schläft, kocht und isst. Enge, düstere Gassen. Höhlenartige Wohnungen mit schimmeligen Wänden. Untermieter, die gedrängt wie Heringe auf dem Fußboden schlafen.
Die Fotos von Jacob Riis sind Ikonen für Amerikas „Gilded Age“ geworden. Sie zeigen die Kehrseite des „Vergoldeten Zeitalters“ am Ende des 19. Jahrhunderts, als Millionäre in Palästen an New Yorks Fifth Avenue residierten und in der Lower East Side Hunderttausende in verwahrlosten, vollgestopften Mietskasernen hausten, die meisten von ihnen Immigranten aus Italien und Osteuropa.

„Schlacht gegen den Slum“

Jacob Riis kam selbst 1870 aus Dänemark und schlief anfangs oft in den schäbigsten Slumunterkünften oder auf der Straße. Später, als Polizeireporter für New Yorker Blätter, hatte er sein Büro beim Polizeipräsidium in Five Points, einer der verrufensten Ecken.
Zeitgenossen sahen die Elendsviertel vor allem als Brutstätten von Seuchen und Verbrechen, Armut als Folge von Charakterfehlern, und dazu kamen nationale und rassistische Vorurteile gegen die Einwanderer.
Für Riis lag das Problem nicht in den Menschen, sondern in den erdrückenden Zuständen. Jacob Riis zog in die „Schlacht gegen den Slum“. Mehr Licht und Luft in den Häusern forderte er, fließendes Wasser und Toiletten. Dazu genug Schulen für alle Kinder. Spielplätze und Grünanlagen. Menschenwürdige Unterkünfte für Obdachlose.
Seine Waffen waren seine Zeitungsartikel, aber sie wirkten nicht wie erhofft. Wenn er den Slum nur zeigen könnte, statt ihn bloß zu beschreiben! Da stieß er auf eine Pressenotiz über ein neuartiges Blitzlichtpulver.
Das war’s, damit könnte er in die finstersten Ecken leuchten. Riis ging mit erfahrenen Fotografen auf Motivsuche, bevor er sich selbst eine Kamera kaufte. Später ließ er viele seiner Fotos von Profis machen, ihm ging es nur um das Resultat.

Blick ins New York der kleinen Leute

Zeitungen allerdings konnten damals noch keine Fotos drucken. Riis wollte sie in Lichtbildvorträgen zeigen, seinerzeit ein beliebtes Medium.
Am 12. Februar 1888 erschien ein großer Artikel in einer New Yorker Zeitung: „Blitzlichter aus dem Slum“. Er schilderte die Fototouren von Riis wie ein Abenteuer und versprach „Bilder von Verbrechen und Elend bei Tag und Nacht“ – eine reißerische Reklame für die Diashow, die Riis für „Kirchengemeinden und Sonntagsschulen“ anbot. Zwölf grobe Holzschnitte nach Fotovorlagen sollten die Neugier anreizen. Immerhin erwähnte der Artikel auch, dass Riis Aufmerksamkeit für notwendige Reformen wecken wolle.

Tatsächlich zeigte Riis seine Bilder bald im ganzen Land. 1890 erschien sein Buch „How the Other Half Lives“, “Wie die andere Hälfte lebt”. Es war ein Bestseller, nicht zuletzt wegen der Fotos, obwohl es nur fünfzehn davon enthielt. Das Buch ist ein Klassiker der Sozialreportage, allerdings schreibt Riis darin auch den Immigranten alle den gängigen Vorurteilen entsprechenden Eigenschaften zu. Er hält sie nur nicht für unüberwindlich.
Jacob Riis war ein Pionier der Dokumentarfotografie, und seine Bilder sind heute ein einzigartiger Blick ins New York der kleinen Leute.


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