6. Januar 1953 US-Physiker vergisst Gebrauchsanweisung für H-Bombe auf Zug-WC
Am 6. Januar 1953 ließ der US-amerikanische Physiker John Wheeler während einer Fahrt von Philadelphia nach Washington strenggeheime Unterlagen auf einer Zugtoilette liegen. Es ging um den Zündmechanismus der Wasserstoffbombe. Wohin die Papiere verschwunden sind, weiß niemand. Autorin: Prisca Straub
06. Januar
Freitag, 06. Januar 2023
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Diese Unterlagen könnten die Menschheit vernichten. Doch jetzt klemmen sie auf einer Zugtoilette, eingekeilt zwischen Kabinenwand und Wasserrohr. "Hoffentlich!" John Wheeler hat die streng vertraulichen Dokumente höchstpersönlich in diesen Zwischenraum geschobenen. Nur um die Hände freizuhaben. Für seine Morgentoilette. Und dann dort vergessen. Kaum drei Minuten ist das her, doch inzwischen ist das WC schon wieder belegt. Wheeler gerät in Panik. In den Unterlagen ist der Zündmechanismus einer Wasserstoffbombe beschrieben. - Er steigt auf den Waschtisch vor den Toiletten, Rasierschaum hängt ihm am Kinn, er linst von oben in die schmale Kabine. Seine Geheimpapiere kann er zwar nicht sehen, wohl aber, dass sich der Mann da drinnen bei seinen Geschäften reichlich Zeit lässt. Als die Spülung endlich rauscht, stürzt der Professor zur Schüssel. Der Umschlag mit dem explosiven Inhalt steckt noch immer an der Rückwand des WCs. Wheeler atmet tief durch. Zum letzten Mal an diesem Tag.
Panikanfall auf der Zug-Toilette
Am Abend zuvor, am 6. Januar 1953, hatte John Archibald Wheeler, Physiker an der Princeton University, den Nachtzug bestiegen. Von Philadelphia nach Washington D.C. Wagen 101, Liegeplatz Nummer neun. Die Geheiminformationen über die Bombe stecken in einem weißen Umschlag. Sechs maschinengetippte Seiten. Dieser Umschlag befindet sich in einem weiteren, einem braunen, alles gut verstaut in Wheelers Aktentasche.
Bevor er sich an diesem Abend hinlegt, geht der Professor die Papiere nochmals durch. Er soll die Details am kommenden Morgen einem Experten-Komitee vorstellen. Man befindet sich im Kalten Krieg, die USA rechnen mit dem Ernstfall. Wheeler ergänzt noch ein paar Randnotizen, steckt den einen Umschlag zurück in den anderen und klemmt die Aktentasche zwischen seine Schlafkoje und die Waggonwand. Zweimal wacht er noch auf und tastet nach der Tasche. Die Nacht verläuft ohne Zwischenfall.
Das H-Bomben Rezept ist weg
Am nächsten Morgen dann das Drama auf der Zugtoilette. Wheeler ist inzwischen auf seinen Platz zurückgekehrt und versucht sich zu beruhigen. "Ok, jetzt zum Auftritt in Washington!" Noch ein letzter Blick in die Unterlagen. Doch der braune Umschlag - er ist leer! Der innere Umschlag ist verschwunden! Wheeler glaubt, den Verstand zu verlieren. Zum zweiten Mal in diesem Morgen.
Kurz darauf ist das FBI zu Stelle. Wagen 101 wird auf ein Abstellgleis geschoben. Wheelers Schlafkoje, der Waschraum, der gesamte Waggon werden akribisch durchsucht. Der Inhalt aller Abfallkörbe konfisziert. Vertäfelungen von der Wand gerissen. Mitreisende und Zugpersonal vernommen. - In den kommenden Wochen muss Wheeler seine Zugfahrt im Verhör so oft rekonstruieren - Minute für Minute - dass er befürchtet, überzuschnappen. Schließlich wird der Waggon in seine Einzelteile zerlegt. Alles ohne Ergebnis.
John Archibald Wheeler lehrt schließlich weiter in Princeton. Erklärt den Kosmos. Spekuliert über Schwarze Löcher und Paralleluniversen. Was damals mit seinen Geheimdokumenten passiert ist, hat er nie herausgefunden. Ihr Verschwinden ist bis heute ungeklärt.