13. Dezember 1918 Karl Kraus veröffentlicht Epilog von "Die letzten Tage der Menschheit"
Karl Kraus‘ "Die letzten Tage der Menschheit" sind weit mehr als eine Tragödie in fünf Akten. Das Stück ist eine große Collage aus Verlautbarungen, Erlässen, Ansprachen, Kriegspredigten und Prospekten. Sie sind die gnadenlose Entlarvung von Phrasen und Worthülsen - die scheinbar grellsten Erfindungen sind Zitate. Autor: Frank Halbach
13. Dezember
Mittwoch, 13. Dezember 2023
Autor(in): Frank Halbach
Sprecher(in): Caroline Ebner
Redaktion: Susi Weichselbaumer
Am Ende ist alles vorbei - ein Trauerspiel. Das Drama endet auf der Bühne mit dem tödlichen Scheitern des Helden. Das scheint besonders tragisch, wenn der untergehende Held die ganze Menschheit ist.
In 220 Szenen entwirft der österreichische Schriftsteller Karl Kraus ein gewaltiges Panorama der Zeit des Ersten Weltkriegs: "Die letzten Tage der Menschheit" - "einem Marstheater zugedacht", auf Erden scheint es unspielbar.
Die Szenen um, aus und um den furchtbaren Krieg herum, so grotesk, so absurd, so unmenschlich, dass man nicht glauben kann, dass die unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, wirklich geschehen sind; die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, wörtlich gesprochen worden sind; die grellsten Erfindungen von Karl Kraus Zitate sind.
Meisterwerk der Antikriegssatire
Mit gnadenloser Sprachkunst und unerbittlichem Wortwitz montiert Kraus historische und erfundene Personen in eine nicht zusammenhängende Handlung zu gallig bitterer Satire und entlarvt ihre Unmenschlichkeit in Reden, Denken und Handeln. Ein Antikriegsdrama, das die Absurdität des Kriegs an sich in drastischster Weise vorführt.
Eine bittere Lektüre. Ein Anschreiben gegen trunkene Augenblicks-begeisterung und massenhysterische Kriegsbegeisterung von Volk, Militär, Adel und Intellektuellen, die sich im "Stahlbad" eine Auferweckung heldenhafter Tugenden erhoffen. Jedenfalls wurde es "das gewollt furchtbarste Buch dieser Zeit", der "grausigste Spiegel, der jemals einer gepeinigten Menschheit vor das entstellte Antlitz gehalten wurde". Chlorgas als Waffe, Mord an Verwundeten, irrwitzige Parolen von Regierungen, Alte und Schwerkranke, die an die Front geschickt werden.
Karl Kraus spart nichts aus in seiner Reaktion auf den Ersten Weltkrieg. Den Epilog hat er am 13.Dezember 1918 fertig. Erscheinen konnte all das freilich erst nach Aufhebung der Zensur.
Grauenhaft echt
An seinem Opus Magnum werkelte und tüftelte Karl Kraus bis 1922.
Seine Waffe gegen den blutdürstenden Wahnsinn des Krieges: die Sprache. Er entwirft kein Gegenbild, keine Utopie zur grausamen Logik des Krieges.
Er entlarvt das inhumane Parlieren und Agieren der Figuren durch ihre Sprache. Seine Aufklärung sind Zitate - von bestürzender Drastik. Die Sprache ist für Kraus nicht nur das Medium, sie ist der Gegenstand der Darstellung. Abgenutzte, wieder ausgegrabene Floskeln, die die Schuld an allem, den Ausländern geben und von der angeblich so gloriosen Größe der Nation in vergangenen Zeiten fabulieren.
"Mein Ohr hat den Schall der Taten, mein Auge die Gebärde der Reden entdeckt und meine Stimme hat, wo sie nur wiederholte, so zitiert, dass der Grundton festgehalten blieb für alle Zeiten." Sagt Karl Kraus Alter Ego im Stück: der Nörgler. Der möchte die Zerstörung der Welt rächen. Dazu gestaltet er die Schuldigen zu literarischen Figuren, deren Dummheit, Niedertracht und Unbedeutsamkeit er durch ihre eigenen Worte sichtbar macht.