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17. August 1959 Kind of Blue

Es ist weltweit das meistverkaufte Album in der Geschichte des Jazz: Miles Davis‘ "Kind of Blue". Und in diesem Fall entsprechen die Verkaufszahlen der künstlerischen Bedeutung. Dieser Meilenstein der Musikgeschichte wurde in gerade mal zwei Sessions aufgenommen, bevor es zur "Bibel des Jazz" wurde. Autor: Markus Vanhoefer

Stand: 17.08.2023 | Archiv

17.08.1959: Kind of Blue

17 August

Donnerstag, 17. August 2023

Autor(in): Markus Vanhoefer

Sprecher(in): Caroline Ebner

Redaktion: Frank Halbach

Es beginnt mit introvertierten, harmonisch offenen Klavierklängen, unter die sich einige Kontrabass-Pizzicati mischen. Aus dem versonnenen Dialog entwickelt sich ein kurzes, aufsteigendes Bassmotiv, die Quartakkorde des Pianos werden von Bläsern verstärkt, ehe sich nach einem Drum-Fill Miles-Davis melancholisches Trompeten-Solo in swingende Regionen erhebt.

"So What" heißt das Stück, das am 2. März des Jahres 1959 in einer zum Tonstudio umgebauten Kirche in New Yorks 30ster Straße aufgenommen wird. "Ein Termin wie viele andere auch", kommentiert der Schlagzeuger Jimmy Cobb die legendäre Session. Die Zukunft wird diese Einschätzung eines Besseren belehren. "So What" ist der Opener des Jazz-Albums "Kind of Blue", für das die Bezeichnung "musikalisches Weltkulturerbe" keine feuilletonistische Übertreibung wäre.

Ein Jahrhundertwerk

Der kreative Kopf hinter der epochalen Einspielung ist der charismatische Trompeter Miles Davis. Der 33-jährige Sohn eines Zahnarztes gilt als afroamerikanische Stilikone, er ist intuitiv, hip und cool. Auch wenn er nicht gerade als intellektueller Revolutionär auftritt, so ist der dennoch ein Ausnahmekünstler, der den Jazz immer wieder neu definiert. 
Was hat ihn zum "Jahrhundertwerk" "Kind of Blue" inspiriert? Ein wesentlicher Einfluss seien Erinnerungen an Gospel-Songs gewesen, die er einmal beim Spaziergang im ländlichen Alabama gehört habe, erzählt Davis in seiner Autobiographie. Ein anderer die Klavierstücke des Impressionisten Maurice Ravel, eine Musik, die ihm der Pianist Bill Evans nahegebracht habe.
Das Ergebnis dieser Eindrücke sind keine fertigen, ausgearbeiteten Kompositionen, sondern einige grob skizzierte Ideen.
Wenn es einen gemeinsamen musikalischen Nenner gibt, dann das innovative Konzept einer modalen Anlage, in der nicht mehr über schnelle Akkordfolgen, sondern über weiträumige Skalen improvisiert wird.  

Spannungsintensive Improvisation

Im März 1959 begibt sich Miles Davis mit seinen rudimentären Entwürfen ins Tonstudio.  Die Musiker seines Sextetts, darunter Allzeit-Größen wie der Saxophonist John Coltrane, wissen nicht, was sie erwartet. Die Aufnahme erfolgt in vier Sessions à 3 Stunden, geprobt wird nicht. Mit Absicht, das Unfertige der Vorgabe zwingt die Musiker zur konzentrierten Interaktion, die wiederum einen spezifischen Klang und eine in ihrer Ruhe spannungsintensive Gefühlslage provoziert. Und so entsteht vor den Mikrophonen des Toningenieurs eine Musik, die zu den besten gehört, die der Jazz je hervorgebracht hat.
"Kind of Blue" erscheint am 17. August 1959 - und wird ein Album für die Ewigkeit. Dass es bis heute der meistverkaufte Tonträger der Jazz-Geschichte ist, ist in diesen Zusammenhang nur eine Marginalie. Welchen ästhetischen Einfluss und welch stilbildende Signifikanz Miles- Davis´ Einspielung für die Musik hat, bringt der Rapper und Erfolgsproduzent Jonathan William Davis - alias Q-Tip - auf folgenden Punkt: "Kind of Blue ist wie die Bibel, jeder sollte ein Exemplar bei sich zuhause haben".        


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