9. März 1522 Provokation gegen Fastenregeln: Das Zürcher Wurstessen
Das Zürcher Wurstessen am ersten Fastensonntag 1522 war eine Provokation – und für die Reformation in der Schweiz ähnlich bedeutsam wie der Wittenberger Thesenanschlag für die Reformation in Deutschland. Autor: Xaver Frühbeis
09. März
Mittwoch, 09. März 2022
Autor(in): Xaver Frühbeis
Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Am 9. März 1522, es ist der erste Sonntag nach Aschermittwoch, haben sich im Haus des Züricher Buchdruckers Christoph Froschauer eine Menge Gäste eingefunden. Kaufleute, Gelehrte, angesehene Bürger, auch ein Priester vom Grossmünsterstift ist da. Huldreich Zwingli, ein guter Freund des Buchdruckers.
Provokantes Mahl
Die Köchin tischt auf. Erst gibt es Fasnachts-Chüechli, - traditionell: ohne Ei -, und dann werden zwei Räucherwürste in Scheiben geschnitten. Jeder, der will, darf mal. Später werden die Teilnehmer dafür sorgen, dass das, was sie getan haben, sich rumspricht in der Stadt. Denn das Ganze ist vor allem eine gezielte Provokation. Die Wurstesser sind unzufriedene Christen. Mit dem Fastengebot der Kirche wird Schindluder getrieben. Tiere wie Biber oder Otter kommen auf den Tisch, man erklärt sie zu Fischen, weil sie im Wasser leben. Braten richtet man in Fischform an und hofft, dass Gott und seine irdischen Vertreter das nicht mitbekommen. Und weil mit Geld alles geht, kann man sich bei der Kirche auch vom Fastengebot freikaufen, man nennt das den "Butterpfennig".
Und so essen jetzt Froschauer und seine Freunde in der österlichen Fastenzeit Würste und erzählen das rum. Es reagiert darauf nicht die Kirche, sondern der Rat der Stadt Zürich. Der Akt wird als öffentliche Ruhestörung angesehen. Die Wurstesser müssen vor dem Rat erscheinen und ihr Tun rechtfertigen. Und das ist genau, was sie beabsichtigt haben.
Froschauer, der Buchdrucker, verteidigt sich weltlich. Er und seine Leute hätten hart zu arbeiten gehabt, ein großer Auftrag für die Frankfurter Buchmesse, von dem ewigen Brei würde dabei niemand satt werden, und allweil Fisch wäre bei den Preisen nicht drin.
Huldreich Zwingli, der Gottesmann, argumentiert auf seine Weise: Es sei das Fastengebot nicht das Wort des Herrn, nichts davon stünde in der Bibel, es sei Menschenidee. Er halte das jedoch für Blasphemie. Als habe Gott versäumt, so etwas vorzuschreiben. Und wenn Christen diesem Gebot nicht folgen möchten oder können, würden sie sich als Sünder fühlen. Zwingli sagt: Schluss damit. Wenn du gern fasten möchtest, dann mach das. Wenn du kein Fleisch essen willst, dann iss keins. Wenn dich aber danach gelüstet, dann iss eins. Du hast die Wahl. Lass aber, sagt Zwingli, auch deinem Nachbarn diese Wahl. Und reg dich nicht auf, wenn er es anders macht als du. Zwingli lässt diese Rede nach Ostern von seinem Freund Froschauer tausendfach auf Papier drucken. Der Titel der Schrift: "Von Erkiesen und Freiheit der Speisen". Nach dem Wurstessen im Hause Froschauer wird auch noch anderswo in der Schweiz demonstrativ das Fasten gebrochen. Das Wurstessen in Zürich jedoch hat die einschneidendsten Folgen. Im Jahr drauf, als Dominikanermönche Zwingli Ketzerei vorwerfen, müssen seine Freunde und er vor sechshundert geladenen Personen ihre Ideen verteidigen. Allerdings machen die Abgeordneten des Bischofs dabei eine schlechte Figur. Sie können nicht mehr vorbringen als dass sich das so gehöre mit dem Fasten, und dass man das schon immer so gemacht habe. Und da machen die Züricher Ratsherren eine Kehrtwende. Sie geben Zwingli recht und heben die kirchlichen Fastengebote einfach auf. So ist das Wurstessen im Buchdruckerhaus der erste große Sieg der Reformatoren und der erste Schritt zur reformierten Kirche in der Schweiz.