24. April 1335 Regelung der Arbeitszeit
Was für eine Folter! murrten französische Arbeiter im 14. Jahrhundert. Immer öfter gaben nun diese neumodischen Turmuhren den Arbeitstakt vor. Die Proteste uferten aus, so dass am 24. April 1335 der König zu Hilfe kommen soll. Autorin: Marianne Werker
24. April
Mittwoch, 24. April 2019
Autor(in): Marianne Werker
Sprecher(in): Krista Posch
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
"Zeit ist Geld" lautet eine simple Grundformel unserer Arbeitswelt, die die Kassiererin heute genauso verinnerlicht hat wie der Vorstandsvorsitzende. Doch diese Formel hat eine Geschichte – und im Anfang stand der Protest – europaweit.
Er beginnt im frühen 14. Jahrhundert und mit Schuld sind diese neuen Turmuhren. Bislang haben sich Arbeiter und Bauern nach dem Lichttag gerichtet. Sonnenauf- und –untergang bestimmen die Dauer ihrer Arbeit. Und natürlich die Kirchenglocke, die zu Messen und Andachten ruft.
Turmuhren als Hassobjekte
Doch die Turmuhren schlagen nun stündlich die Zeit. Attraktiv sind sie für eine neue Generation von Geschäftsleuten, denen die Kirche nicht mehr so wichtig ist. Für sie zählen Gewinn, Produktivität und Effizienz. Die sogenannten Schlaguhren, die bald in den großen Tuchmacherzentren und auf Baustellen von Norditalien bis England stehen, geben den Arbeitern einen neuen schnelleren Takt vor. Die Arbeiter aber vermissen die alten Zeiten schmerzlich und verstoßen immer wieder gegen die straffe Zeitordnung. Sie protestieren, gehen mit Stöcken auf die Uhren los und zerschlagen sie. In der französischen Champagne wird ein Bürgermeister umgebracht. Er hatte das Glockenzeichen am Ende des Arbeitstags weiter in den Abend verschoben.
Im Gegenzug rufen die Arbeitsherren Politik und Stadtverwaltung zu Hilfe, um den Aufruhr unter Kontrolle zu bekommen. So richten zum Beispiel die Räte von Amiens am 24. April 1335 ein Gesuch an den französischen König. Sie erbitten einen Erlass, wann die Arbeiter an Werktagen die Arbeit aufnehmen sollten, wann sie zum Essen gehen sollten, wann sie vom Essen zurückkehren sollten, und wann sie abends ihre Arbeit für den Tag beenden sollten.
Das Ergebnis ist ein Zeitkorsett, das keine Minute individuellen Freiraum lässt. Einer solchen Fremdbestimmung entziehen sich immer wieder Arbeiter, auch organisierte Gruppen, indem sie einfach nicht mehr erscheinen. Eine Art stummer, aber oft wirkungsvoller Protest.
Arbeitsbeginn im Morgengrauen
Der natürliche Lichttag als Maß der Arbeitszeit ist mit den Turmuhren aber keineswegs verdrängt. Nur macht sich das mit der Uhr aufgekommene Bemühen um Präzision überall bemerkbar, denn es häufen sich jetzt Versuche, den Lichttag genauer zu definieren: In Paris sollen die Walker mit der Arbeit beginnen, sobald man einen Menschen auf der Straße im Tageslicht erkennen kann. Die Weißgerber werden angehalten ihre Arbeit aufzunehmen, sobald sie im Dämmerlicht zwei verschiedene Münhen auseinander halten können.
Noch Jahrhunderte existieren Uhr und Lichttag nebeneinander, zumal die Turmuhren höchst reparaturanfällig sind. Oft werden sie durch Sanduhren ersetzt. Und wenn alle Stricke reißen, bezieht man sich doch wieder auf die Kirche. Eine Bestimmung für die Maurer in Rouen besagt, dass im Falle eines Defekts die Pause so lange dauern solle wie die große Messe in der Kathedrale.
Damit können sie leben. Denn auf das "innere Maß" wie die Dauer einer Messfeier ist Verlass – im Gegensatz zu den verpönten Uhren, die ihren Siegeszug dennoch unbeirrt fortsetzen.