5. Dezember 1927 Richard Strauss verunglückt mit dem Zug
Der Künstler von Welt reiste um 1900 herum mit der Bahn. So auch Richard Strauss, erfolgreicher Komponist und dementsprechend ein Vielfahrer. So heftig die Bahn heutzutage kritisiert wird, damals waren Zugreisen nicht nur meist beschwerlicher, sondern vor allem gefährlicher, und Kollisionen gar nicht mal so selten. Autor: Markus Vanhoefer
05. Dezember
Montag, 05. Dezember 2022
Autor(in): Markus Vanhoefer
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Das Unglück ereignet sich am 5. Dezember 1927, nachts um halb zwei. Der Komponist Richard Strauss befindet sich auf der Rückfahrt von Berlin nach Wien, als sein Zug in der Nähe der niederösterreichischen Gemeinde Sigmundsherberg mit einem Güterzug kollidiert. Der Aufprall ist heftig, Strauss und seine Frau Pauline, die ihren berühmten Mann begleitet, werden gegen die Wand ihres Luxus-Abteils geschleudert. Ein Schutzengel scheint den beiden zur Seite zu stehen, ohne die kleinste Schramme steigen sie aus ihrem demolierten Wagon.
Wesentlich schlimmer ergeht es Anna, der Zofe der Familie. Sie ist in den Trümmern des Unglückszugs eingeklemmt. Rettungskräfte benötigen mehrere Stunden, um die schwer Verletzte aus ihrer Notlage zu befreien.
Mit dem Schrecken davon gekommen
Der Vorfall bei Sigmundsherberg ist nicht das erste Mal, dass der Schöpfer des "Zarathustra" und der "Salome" Opfer eines Eisenbahn-Unfalls wird. Knapp drei Jahre vorher, im Februar 1925, ist Strauss in Spanien kurz hinter der französischen Grenze unterwegs. Diesmal sind Sohn Franz und Schwiegertochter Alice mit dabei.
"Wir saßen im Speisewagen, plötzlich gab es einen Ruck und gleich darauf einen Riesenkrach", erinnert sich Alice: "Der Zug entgleiste. Am Gepäckwagen war ein Rad gebrochen. Er riss drei Wagons aus den Schienen".
Richard Strauss und seine Familienangehörigen kommen mit dem Schrecken davon. Die Erleichterung ist riesig. Am Unfallort überreichen die dankbaren Passagiere dem Lokführer einen beachtlichen Geldbetrag. Angeblich hat seine schnelle Reaktion eine weitaus größere Katastrophe verhindert.
Die Eisenbahn und die Musik
Das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert sind die goldene Ära der Eisenbahn, ein immer dichteres Streckennetz überzieht Europa, immer schnellere und zuverlässigere Züge verbinden Regionen und Metropolen. Heute Paris, morgen Brüssel, übermorgen Hamburg oder Berlin, im Zeitalter der Pferdekutsche wäre das nicht möglich gewesen. Diese Entwicklung verändert den Alltag der Menschen radikal, und damit auch das Musikleben.
Richard Strauss ist ein Künstler dieser neuen, mobilen Welt. Auf-Achse-sein gehört zu seinem Beschäftigungsprofil. Denn der gebürtige Münchner ist nicht nur ein erfolgreicher Komponist, im Zweitberuf ist er Stardirigent. Und so eilt Strauss von Termin zu Termin, präsentiert eigene Kompositionen und tritt in Europas wichtigsten Konzertsälen und Opernhäusern auf.
Das Verkehrsmittel "Eisenbahn" bringt dem geschäftstüchtigen Musiker unschätzbare Vorteile. Aber es gibt auch potentielle Nachteile, Züge können zusammenstoßen, Gleise sich verbiegen, Dampfkessel explodieren. Der "Vielfahrer" Richard Strauss ist sich dieser Gefahren durchaus bewusst, er betrachtet sie sogar als eine Art Berufsrisiko. "Nach einer glühenden Reise mit beinahe Eisenbahnunglück bin ich glücklich hier angekommen", schreibt er in einem Brief von den Bayreuther Festspielen.
In einem seiner Werke lässt Richard Strauss das Thema "Zugunfall" sogar anklingen, in der autobiographisch gefärbten Oper "Intermezzo", einem komödiantischen Einblick ins Strauss´sche Eheleben. Dort sagt die Kapellmeister-Gattin zu ihrem abreisenden Ehemann: "Ich bitte dich, nimmt dich in acht, steige nicht in die vorderen, nicht in die letzten Wagons". Man weiß ja nie, was passieren wird.