26. März 1916 Robert Stroud, verurteilter Mörder, wird zum Vogelexperten
Von seinem 20. Lebensjahr an saß der US-Amerikaner Robert Stroud im Gefängnis. Dort entdeckte der zweifache Mörder seine Lebensaufgabe: die Vogelkunde. Autorin: Prisca Straub
26. März
Freitag, 26. März 2021
Autor(in): Prisca Straub
Sprecher(in): Johannes Hitzelberger
Illustration: Tobias Kubald
Redaktion: Frank Halbach
Als er in Fußeisen und Handschellen nach Alcatraz überstellt wurde, war Robert Stroud bereits eine Berühmtheit. Zuletzt hatte der Gewaltverbrecher im US-Bundesgefängnis Leavenworth in Kansas gesessen. Zusammengekniffene Lippen, markante Segelohren - und ein leichenblasser Teint. Robert Stroud, besser bekannt als "der Vogelmann", hatte in seinem Leben nicht viel Sonnenlicht abbekommen. Er war 52 Jahre alt und saß seit seinem 20. Lebensjahr hinter Gittern.
Inventarliste eines Lebenslänglichen
Ein Aufatmen ging durch die Gefängniskorridore von Leavenworth. Schon lange hatte man versucht, den zweifachen Mörder loszuwerden. Stroud galt als unerträglicher Querulant. Psychiater hatten ihm attestiert, gewissenlos, manipulativ und gefährlich zu sein. Als man seine verwaiste Zelle aufräumte, fand man unter anderem 14 Packungen Rasierklingen, zwei Schraubenzieher, einen Handbohrer, eine Handsäge, etliche Sägeblätter - und jede Menge reinen Alkohol. Eine schier wahnwitzige Ausstattung für einen Lebenslänglichen in Isolationshaft. Doch das eigentliche Problem waren die atemberaubenden Dreckkrusten aus Vogelkot, jede Menge Lehrbücher, Fachzeitschriften - und Aberdutzende selbstgezimmerte Vogelkäfige. Der Doppelmörder Stroud war während seiner langen Haftzeit zum international bekannten Vogelexperten geworden.
Beispiellose Karriere im Strafvollzug
Kanarienvögel waren Robert Strouds ganzer Lebensinhalt gewesen. Zeitweise bevölkerten Hunderte von ihnen seine Zelle. Der notorische Gewaltverbrecher hatte als junger Mann in Alaska einen Mann umgebracht, später dann einen Mithäftling schwer verletzt.
Am 26. März 1916 hatte er im vollbesetzen Speisesaal von Leavenworth einem Wärter ein Messer ins Herz gerammt - und war der Todesstrafe nur knapp entronnen. Wenige Zeit später erfüllte er die Gefängniskorridore mit Vogelgezwitscher. Angeblich hatte ihm der Sturm beim Hofgang ein Nest mit hilflosen jungen Spatzen vor die Füße geweht. Er schmuggelte die Küken in seine Zelle und brachte sie durch - mit einem Brei aus Wasser, Brotrinde und zerstoßenen Kakerlaken. Stroud hatte seine Schwäche für die Vogelzucht entdeckt.
Rund 20 Jahre lang betrieb der Häftling im schlecht belüfteten Halbdunkel seiner Zelle eine florierende Kanarienvogel-Industrie. Zunächst hatte die Gefängnisleitung ein Auge zugedrückt, dann wurde Strouds Vogelreich immer mehr zum Ärgernis. Seine ausufernde Korrespondenz mit Fachleuten und Vogelliebhabern - ein administrativer Albtraum! Der Nachschub an Labor-Equipment, Futter und täglich frischem Grünzeug - das Business geriet außer Kontrolle! Als Strouds Buch über Krankheiten bei Kanarienvögeln erschien, bombardierte die Öffentlichkeit die Anstalt mit Protestschreiben zugunsten des ungewöhnlichen Experten.
Dann in Alcatraz schien endlich Schluss zu sein mit dem Spuk. Tatsächlich sollte Stroud nie wieder einen Vogel in seiner Zelle halten. Doch die Geschichte vom Vogelmann ließ die Leute nicht los. Jahre später wurde Strouds Leben verfilmt - mit Hollywoodstar Burt Lancaster. Ob Stroud sich wiedererkannt hat? - Man weiß es nicht. Er durfte den Film nie sehen.